Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Glaubhaftmachung des rechtswidrigen vorsätzlichen Angriffs im Opferentschädigungsrecht
Orientierungssatz
1. Zur Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG ist zunächst erforderlich, dass der behauptete zugrundeliegende vorsätzliche rechtswidrige Angriff entweder bewiesen oder wenigstens glaubhaft gemacht ist.
2. Ein nach § 109 SGG gestellter Antrag ist zurückzuweisen, wenn durch seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreites verzögert würde und der Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden ist. Ein anwaltlich vertretener Kläger hat den Antrag innerhalb eines Monats nach der Mitteilung des Gerichts zu stellen, dass der Rechtsstreit ohne weitere Ermittlungen zur Sitzung vorgesehen ist.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die 1963 im Gebiet der ehemaligen DDR in Berlin geborene und dort bis 1989 wohnhafte Klägerin, die bis zur Namensänderung im Jahr 2006 den Namen K. B. trug, ist die Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Kindern, die aus der von ihr von 1985 bis 1999 geführten Ehe hervorgingen. Die Klägerin hat außerdem einen Bruder und eine Schwester, die an Schizophrenie erkrankt ist. Seit 1994 befindet sie sich in - teilweise stationärer - psychiatrischer Behandlung wegen einer multiplen Persönlichkeitsstörung, zu deren Krankheitsbild eine Persönlichkeitsspaltung mit der Ausprägung mehrerer Innenpersonen gehört. 1996 und 1997 unternahm sie Suizidversuche. Außerdem entwickelte sie selbstverletzendes Verhalten (Schneiden und Verbrennen) und seit etwa drei Jahren eine Anorexie (Essstörung mit Reduzierung des Körpergewichts von ursprünglich über 80 kg auf 41 kg). Ab August 2001 stellte der Beklagte bei ihr den Grad der Behinderung (GdB) mit 80 und mit Abhilfebescheid vom 9. Oktober 2006 mit 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche mit den Merkzeichen "G", "B" und "RF" fest.
Am 27. April 2006 beantragte sie beim Beklagten Beschädigtenversorgung, weil ihre Persönlichkeitsstörung mit somatischen Folgen durch schon seit frühester Kindheit im Rahmen satanistischer Riten erlittene Misshandlungen (Folter) und sexuellen Missbrauch hervorgerufen sei. Täter und Beteiligte kenne sie nicht. Polizei und Staatsanwaltschaft seien nicht eingeschaltet worden, weil sie um ihr Leben fürchte. Auch im Jahr 2005 sei es zu mehreren Fällen von sexuellem Missbrauch und Folter gekommen, wobei sie (bzw. die betroffenen Innenpersonen) jeweils von Männern in schwarzen Anzügen mit einer identischen schwarzen Mercedes Limousine, aber mit unterschiedlichen Kennzeichen, abgeholt und ihr die Augen verbunden bzw. Drogen verabreicht worden seien, weshalb sie den Weg und den Zielort nicht beschreiben könne. Am Zielort sei sie von verschiedenen maskierten Männern, die sie deshalb nicht beschreiben könne, misshandelt und sexuell missbraucht worden. Bei den Tätern habe es sich immer um den gleichen Kreis von Personen gehandelt, der einen satanistischen Kult praktiziere. Als Folge der stationären Psychotherapie hätten die einzelnen Persönlichkeitsanteile nicht mehr richtig im Sinne des satanistischen Kults funktioniert. Die verschiedenen Innenpersonen seien daher mittels Folter neu programmiert worden, wobei "Sicherheitskopien" angefertigt worden seien, wobei die Folter in einer bestimmten Reihenfolge wiederholt worden sei, bis Sicherheit bestanden habe, "dass das Programm wieder 100%-ig funktioniert". Wer auf welche Weise wieder nachhause gebracht wurde, sei nicht feststellbar.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2006 zurück, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff weder nachgewiesen noch nur glaubhaft gemacht sei.
Auf die hiergegen am 31. Oktober 2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen über den Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin sowie den Zusammenhang der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen mit den behaupteten Taten Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Gutachtens von der Sachverständigen Dr. C., Leitende Ärztin der Klinik für forensische Psychiatrie, H., vom 25. Mai 2007. Die Sachverständige hat bei der Klägerin nach ambulanter Untersuchung folgende Diagnosen gestellt:
Multiple Persönlichkeitsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, atypische Anorexie nervosa und schädlicher Gebrauch von Sedativa.
Die Aussage der Klägerin habe wahnhafte Züge. Eine Aussagetüchtigkeit hinsichtlich des behaupteten sexuellen Missbrauchs im Rahmen eines satanistischen Kults sei nicht gegeben. Die Klägerin sei insoweit außerstande, zwischen Erlebtem und "anders generierten Vorstellungen" zu unterscheiden. Hierbei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass bis zum Alter von zwei Jahren ein Erinnerungsvermögen ausgeschlossen sei, weshalb die Erinnerung der Klägerin an sexuellen Mis...