Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Anerkennung einer Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit (BK) nach § 9 SGB 7 muss die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und diese Einwirkung muss die als BK zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben.

2. Zur Anerkennung einer Enzephalopathie als BK nach Nr. 1317 BKV ist der Nachweis erforderlich, dass der Betroffene an seinem Arbeitsplatz organischen Lösungsmitteln oder deren Gemischen i. S. einer Einwirkungskausalität ausgesetzt war.

3. § 9 SGB 7 setzt voraus, dass das Ausmaß der Einwirkungen, denen der Versicherte ausgesetzt war, einen erheblich höheren Grad als die Exposition der übrigen Bevölkerung erreicht hat.

4. Bei der Enzephalopathie handelt es sich um kein spezifisch toxisches Krankheitsbild.

5. Ist eine Enzephalopathie toxisch verursacht, so ist anerkannt, dass sie sich regelmäßig erst nach einer Expositionsdauer von 10 Jahren und mehr entwickelt. Eine Beschwerdezunahme nach Expositionsende spricht gegen einen Ursachenzusammenhang mit der Lösemittelexposition.

 

Normenkette

SGB VII § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1; BKV Anl. 1 Nr. 1317; SGG §§ 109, 118; ZPO § 404 Abs. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Die 1957 geborene Klägerin ist gelernte Industriekauffrau und war ab dem 25. September 2000 als Sekretärin der Geschäftsführung bei der Firma D. Aluminium GmbH in A-Stadt - einem im Bereich der Automobilzulieferung tätigen Unternehmen - in Vollzeit beschäftigt. Ab dem 5. Januar 2005 war sie dauerhaft arbeitsunfähig, das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 18. April 2006 beendet.

Unter dem 15. März 2005 zeigte der Nervenarzt Dr. E. der Berufsgenossenschaft Metall Süd, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), das Vorliegen einer BK wegen langjähriger Arbeit mit toxischen Stoffen an. An Diagnosen wies er auf eine Neuropathie, Myopathie, eine deutliche Leistungsminderung in der Psychometrie, eine chemische Überempfindlichkeit sowie den dringenden Verdacht auf ein Sickbuilding-Syndrom hin. Beigefügt waren der Anzeige diverse medizinische Unterlagen (Arztbrief Dr. E. vom 10. März 2005, Bericht des Instituts für Medizinische Diagnostik Berlin vom 27. Januar 2005 über die Ergebnisse eines Lymphozytentransformationstest Typ IV-Umweltfaktoren, testpsychologischer Untersuchungsbericht Dr. E. vom 27. Januar 2005).

Nachdem die Klägerin unter dem 8. Juni 2005 ergänzende Angaben, u.a. zu ihrer Erkrankung und ihren Arbeitgebern gemacht hatte und darüber hinaus eine Aufstellung der von ihr konsultierten Ärzte vorgelegt hatte, zog die Beklagte im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen den Aktenvorgang eines von der Klägerin bei ihr parallel geführten Feststellungsverfahrens auf Anerkennung der BK Nr. 4302 u. a. mit einem Rehabilitationsentlassungsbericht der Reha-Klinik Borkum Riff über den stationären Aufenthalt der Klägerin dort zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Oktober 2004 bis 9. November 2004 (6. Januar 2005), den Bericht des Zentrums für Innere Medizin, Medizinische Klinik II des Universitätsklinikums Gießen vom 8. Juni 2004 über den stationären Aufenthalt der Klägerin dort vom 16. Mai 2004 bis 27. Mai 2004, einem Arztbrief von Dr. F. (Internist, Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde) vom 29. November 2004, das Vorerkrankungsverzeichnis der DAK A-Stadt Nord vom 18. Juli 2005 mit Zeiten ab 1997 und den Bericht des Präventionsdienstes Stuttgart vom 9. März 2006 zur BK Nr. 4302 bei. Im Auftrag der Beklagten führte der Präventionsdienst sodann am 19. Oktober 2005 eine Besichtigung des Arbeitsplatzes im Beisein der Klägerin und dem Geschäftsführer der Firma D. Aluminium GmbH durch. Am 31. Oktober 2005 erfolgten am Arbeitsplatz der Klägerin Luftschadstoffmessungen. In einem weiteren Termin am 17. Dezember 2005 wurden Materialproben von der Decke, des Wandschrankes aus Holz und der Sockelleiste aus Teppichmaterial entnommen und dem Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitsschutz (BGIA) zur Analyse übersandt.

Auf Grundlage der Ergebnisse von dort erstellte der Präventionsdienst unter dem 16. Dezember 2005 einen Bericht über die Messung von Gefahrstoffen in der Luft in Arbeitsbereichen sowie unter dem 22. März 2006 Berichte über die Messung von Gefahrstoffen in Materialproben in Arbeitsbereichen.

Gestützt auf diese Ermittlungsergebnisse lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 4302 mit Bescheid vom 28. August 2006 ab.

Nach Anhörung des Landesgewerbearztes (dortige ...

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