Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 27.03.2020; Aktenzeichen 26 O 331/19)

 

Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

 

Gründe

Der Senat hat die Berufung des Klägers eingehend beraten und ist einstimmig zu dem Ergebnis gelangt, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO) und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO).

I. Die Klage ist sowohl mit dem Haupt- als auch dem Hilfsantrag unbegründet. Ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht nicht. Weder hat die Beklagte Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG rechtswidrig umgesetzt, noch hat sie die Typgenehmigung für das Fahrzeug des Klägers rechtswidrig erteilt.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kommt eine Haftung eines Mitgliedstaats in Betracht, wenn er gegen eine Norm des Unionsrechts verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, wenn der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und wenn zwischen diesem Verstoß und dem Schaden des Einzelnen ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Dieser Anspruch erfasst alle Bereiche staatlichen Handelns und damit grundsätzlich auch das vorliegend vom Kläger behauptete legislative Unrecht durch fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht durch den Gesetzgeber. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, haben die nationalen Gerichte unter Beachtung der vom EuGH entwickelten Leitlinien festzustellen (BGH, Urteil vom 17. Januar 2019 - III ZR 209/17 - juris Rn. 22 und vom 22. Januar 2009 - III ZR 233/07 - juris Rn. 12 m.w.N. zur Rechtsprechung u.a. des EuGH).

Gemessen hieran steht dem Kläger kein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch zu, weil es bereits an einer unionsrechtlichen Norm fehlt, die bezweckt, dem einzelnen Fahrzeugerwerber oder -besitzer wie hier dem Kläger Rechte zu verleihen (dazu 1.). Im Übrigen läge weder wegen einer rechtswidrigen Umsetzung des Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG (dazu 2. a)) noch wegen einer rechtswidrigen Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug durch das Kraftfahrtbundesamt (dazu 2. b)) ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht vor.

1. Es fehlt bereits an einer unionsrechtlichen Norm, die bezweckt, dem einzelnen Fahrzeugerwerber oder -besitzer wie hier dem Kläger Rechte zu verleihen. Auch Richtlinien, die sich nach Art. 288 Abs. 3 AEUV zunächst nur an die Mitgliedstaaten richten, können drittschützenden Charakter haben, sofern sie die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu verpflichten, individuelle Rechte zu begründen. Ob dies der Fall ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (Dörr, WM 2010, 961 ≪962≫; BeckOGK/Dörr, 1. Juli 2020, § 839 BGB Rn. 886).

Den vom Kläger angeführten Art. 8, 12 und 46 der Richtlinie 2007/46/EG fehlt ein entsprechender drittschützender Charakter. Dies ist als eindeutiges Auslegungsergebnis aufzufassen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 13. August 2020 - 6 U 4/20 - n.v. S. 7; LG Offenburg, Urteil vom 19. Mai 2020 - 2 O 275/19 - juris Rn. 28 f.; vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 - 7 U 134/17 - juris Rn. 159). Denn Gegenstand dieser Richtlinie ist es nach Art. 1 der Richtlinie 2007/46/EG, einen harmonisierten Rahmen mit den Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in ihren Geltungsbereich fallenden Neufahrzeuge und der zur Verwendung in diesen Fahrzeugen bestimmten Systeme, Bauteile und selbstständigen technischen Einheiten zu schaffen. Weder diesem Zweck noch dem Wortlaut der vom Kläger herangezogenen Richtlinienbestimmungen lässt sich entnehmen, dass dem Einzelnen hier Rechte verliehen werden sollen. Aus den Begründungserwägungen des Unionsgesetzgebers lässt sich vielmehr entnehmen, dass lediglich Allgemeininteressen betroffen sind. So folgt aus den Erwägungsgründen (2), (3), (14), (17) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist; darüber hinaus sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Der Schutz des Vermögensinteresses von Kraftfahrzeugerwerbern findet darin keine Erwähnung. Sofern Fahrzeugbesitzer unter Erwägungsgrund (18) angesprochen werden, geht es um deren Sicherheit, nicht um deren Vermögen (OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019 - 7 U 134/17 - juris Rn. 143 ff.; OLG München, Urteil vom 4. Dezember 2019 - 3 U 4570/19 - juris Rn. ...

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