Leitsatz (amtlich)

1. Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichem Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers; dieser Anscheinsbeweis kann erschüttert oder widerlegt werden durch unstreitige oder bewiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich erscheinen lassen.

2. Biegt ein Kraftfahrer nach links ab, obwohl dieses durch entsprechende Beschilderung (Verbot der Einfahrt, Z 267 zu § 41 StVO) nicht gestattet war, ohne sich zu vergewissern, dass durch diese Fahrweise nachfolgender Verkehr nicht behindert oder gefährdet wird, so handelt er sorgfaltswidrig.

3. Beruft sich ein Unfallbeteiligter zu seinen Gunsten auf eine Sorgfaltspflichtverletzung des Gegners, so muss er diese beweisen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 58 O 336/07)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.5.2007 gegen 6:40 Uhr auf der Kreuzung Scharnweberstraße/Jessnerstraße in Berlin in Anspruch. Die Tochter des Klägers, J. L., befuhr mit dem im Eigentum des Klägers stehenden und von ihm gehaltenen Pkw Alfa Romeo 147 mit dem amtlichen Kennzeichen B-J 9074 die Scharnweberstraße in Richtung Kreuzung Scharnweberstraße/Jessnerstraße und hielt unmittelbar vor der Kreuzung, da die Lichtzeichenanlage für sie rotes Licht abstrahlte. Nachdem die Lichtzeichenanlage auf grün schaltete, fuhr J. L. an und begann mit dem Abbiegevorgang nach links in die Jessnerstraße, als der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Motorrad den klägerischen Pkw links überholen und geradeaus weiterfahren wollte. Hierbei kam es zum Zusammenstoß beider Fahrzeuge, die Anstoßstelle (und Schadensstelle) beim klägerischen Pkw befand sich im hinteren Teil des Wagens. Die Einfahrt in die Jessnerstraße war am Unfalltag durch mobile Verkehrszeichen Nr. 267, deren Standort zwischen den Parteien streitig ist, verboten.

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme (Anhörung des Beklagten zu 1) sowie Vernehmung der Zeugen L., H. und L.) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass die Zeugin L. die Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen erfüllt und der Beklagte zu 1) seinerseits gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen habe.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er nach wie vor Schadensersatz nach einer Quote von 100 % begehrt.

Er macht im Wesentlichen geltend: Das LG sei zu Unrecht von einem Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des Klägerfahrzeugs als Linksabbieger ausgegangen; denn der dafür erforderliche typische Geschehensablauf sei nicht festgestellt und auch nicht gegeben. Vielmehr sei bei ungeklärtem Unfallhergang zwischen Linksabbieger und Überholer eine Haftungsteilung von 50:50 vorzunehmen.

Darüber hinaus habe das LG verkannt, dass der Erstbeklagte bei unklarer Verkehrslage überholt habe.

II. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

1. Die Feststellung des Sachverhaltes durch das LG ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. KG, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269; vgl. auch KG (22. ZS), KGReport Berlin 2004, 38 = MDR 2004, 533; vgl. auch BGH, Urt. v. 9.3.2005 - VIII ZR 266/03, NJW 2005, 1583). § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 286 Rd 2a) oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehaupt...

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