Leitsatz (amtlich)
Ein auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtetes Verfahren ist, wenn vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht anhängig, Anwaltsprozess. Eine Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss unterliegt daher dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO.
Normenkette
ZPO § 78 Abs. 1, 3, § 569 Abs. 3 Nr. 1, § 920 Abs. 3, § 936
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 15 O 148/22) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2022 - 15 O 148/22 - wird verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.600,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der sich selbst vertretende Antragsteller verlangt unter anderem Unterlassung der Zusendung von E-Mails mit werblichem Inhalt. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
Im Oktober 2022 hat der Senat in einem anderen Verfahren, in dem der hiesige Antragsteller Partei ist und sich ebenfalls selbst vertritt, im Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis (vgl. § 31 BRAO) abgefragt, ob der Antragsteller noch als Rechtsanwalt zugelassen ist. Nachdem diese Abfrage ergeben hatte, dass der Antragsteller dort nicht mehr gelistet ist, hat der Senat die Rechtsanwaltskammer Berlin um Auskunft ersucht. Die Rechtsanwaltskammer Berlin hat unter dem 9. Januar 2023 mitgeteilt, die seinerzeit zuständige Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main habe die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft mit einem Bescheid vom 27. Oktober 2020 widerrufen. Die dagegen erhobene Anfechtungsklage habe der Hessische Anwaltsgerichtshof (AGH) mit Urteil vom 12. April 2021 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung habe der BGH mit Beschluss vom 20. Juni 2022 zurückgewiesen. Damit sei die Entscheidung des Hessischen AGH rechtskräftig und der Widerrufsbescheid der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main bestandskräftig geworden, § 112e BRAO, § 124a Abs. 5 VwGO.
Die Präsidentin des BGH hat auf Anfrage des Senates unter dem 14. Februar 2023 mitgeteilt, dass der Senat für Anwaltssachen mit Beschluss vom 20. Juni 2022 den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Hessischen AGH abgelehnt hätte. Der Beschluss sei an die beklagte Rechtsanwaltskammer bereits zugestellt worden, dem Kläger hingegen noch nicht. Die Entscheidung sei aber vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Zustellung an die Poststelle herausgegeben worden.
Mit Verfügung vom 10. Mai 2023 (Bl. 69 ff. d. A.) hat der Senat den Antragsteller darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, seine sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist unzulässig, da sie dem Anwaltszwang gem. § 78 Abs. 1 ZPO unterliegt und von dem nicht postulationsfähigen Antragsteller eingelegt worden ist.
1. Eine Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss unterliegt dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 ZPO. Die Vorschriften der §§ 78 Abs. 3, 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sehen eine Ausnahme vom Anwaltszwang nur dann vor, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug "nicht als Anwaltsprozess zu führen" ist oder war. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
a) Eine Ansicht meint allerdings unter Hinweis auf §§ 936, 920 Abs. 3 in Verbindung mit § 78 Abs. 3 ZPO sowie § 922 Abs. 1 und 3 ZPO, das zulässigerweise ohne anwaltliche Beteiligung abzuschließende erstinstanzliche Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht Anwaltsprozess im Sinne von §§ 78 Abs. 1, 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 13 W 135/08 -, Rn. 7, juris; OLG München, Beschluss vom 12. Juli 1995 - 28 W 1948/95 -, Rn. 2, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Mai 1993 - 6 W 23/93 -, Rn. 3, juris; Kammergericht - ZS 25 -, Beschluss vom 15. August 1991 - 25 W 4373/91 -, Rn. 11, juris).
b) Nach der Gegenansicht ändert die nur für den Arrest- oder Verfügungsantrag geltende Befreiung vom Anwaltszwang gem. §§ 936, 920 Abs. 3 ZPO nichts daran, dass das Verfahren über den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, wenn es vor dem Landgericht anhängig ist, gem. § 78 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Anwaltsprozess sei (OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Januar 2021 - 6 W 120/20 -, Rn. 2 ff., juris; Beschluss vom 28. Juni 2010 - 6 W 91/10 -, Rn. 2 ff., juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. März 2020 - 9 W 13/19 -, Rn. 16 ff., juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 2007 - 8 W 40/07 -, Rn. 7 ff., juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 17. März 1998 - 4 W 79/98 - 10 -, Rn. 7, juris; OLG Düsseldorf OLGZ 1983, 358; Heßler in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 569 Rn. 14).