Leitsatz (amtlich)
Ein Beschluss des Aufsichtsrats einer AG, beim Amtsgericht einen Antrag nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG auf Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund zu stellen, setzt die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats voraus. Nach § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG setzt dies eine Teilnahme von mindestens drei seiner Mitglieder voraus. Dies gilt grundsätzlich auch in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat. Kommt ein Aufsichtsratsmitglied seiner Teilnahmepflicht nicht nach, um den Beschluss über eine Antragstellung seiner Abberufung aus wichtigem Grund zu verhindern, kann es sich nicht auf einen Beschlussmangel des nur durch die beiden anderen AR-Mitglieder gefassten Beschlusses berufen.
Normenkette
AktG § 103 Abs. 3 S. 1, § 108 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 83 HRB 95521 B) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers vom 26. Dezember 2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 26. Dezember 2022 wird - unter Verwerfung der Beschwerde als unzulässig im Übrigen - der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Dezember 2022 abgeändert und der Tenor wie folgt neu gefasst: "Der Antrag vom 19.10.2022 des Beteiligten zu 1 zu Ziffer 1 wird als unzulässig verworfen."
3. Der Antragsteller und die Beteiligte zu 2) haben die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die S. AG - nachfolgend auch: "Gesellschaft" - ist mit einem Grundkapital von 300.000,00 EUR im Handelsregister B des Amtsgerichts Charlottenburg eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand lautet: "Der An- und Verkauf, die Projektierung/ Planung, die Entwicklung, das Sanieren durch Dritte, das Halten und Verwalten von Immobilien im In- und Ausland einschließlich Vermietung und Verpachtung sowie Veräußerung und Verwertung in sonstiger Weise sowie Entwicklung und Konzeption von Beteiligungsmodellen." Alleiniger Vorstand der Gesellschaft ist seit dem Jahr 2020 Frau A Sch.
Die Gesellschaft wurde über Jahre maßgeblich von Herrn J L (nachfolgend auch: "Herr L") und Herrn S B (nachfolgend auch: "Herr B") aufgebaut, entwickelt und geführt. Beide Herren waren in der Vergangenheit als Vorstandsmitglieder, Mitglieder des Aufsichtsrates und Projektmanager für die Gesellschaft tätig.
Aktionäre der Gesellschaft sind zu je 3 % der (minderjährige) Sohn des Herrn L und zu 3 % der Sohn des Herrn B. 96% der Aktien hält eine GmbH, deren Anteile jeweils zur Hälfte von Gesellschaften gehalten werden, die jeweils im Eigentum der Familien der Herren L und B stehen.
Im Jahr 2021 wurden die Herren L und B sowie Herr K W von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat der Gesellschaft gewählt, der satzungsgemäß aus drei Mitgliedern besteht. Im Anschluss wählte der Aufsichtsrat Herrn L zu seinem Vorsitzenden. Auf der Hauptversammlung der Gesellschaft am 25. August 2022 wurden die Herren L und B als Mitglieder des Aufsichtsrates abgewählt; für Herrn B bestellte die Hauptversammlung die Antragsgegnerin, für Herrn L bestellte die Hauptversammlung die Beteiligte zu 2) als Mitglieder des Aufsichtsrates. Die Antragsgegnerin ist die Lebensgefährtin des Herrn B, die Beteiligte zu 2) ist die Ehefrau des Herrn L. Auf der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrates am 27. September 2022 wurde Herr K W (nachfolgend auch: "ARV") zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.
Im September 2022 kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Herren B und L. In dessen weiterem Verlauf kündigte der Vorstand der Gesellschaft das Anstellungsverhältnis des Herrn L als Projektmanager und erteilte ihm Hausverbot für die Räumlichkeiten der Gesellschaft in Chemnitz.
Nach der konstituierenden Sitzung des Aufsichtsrates lud der ARV zu einer Sitzung des Aufsichtsrates für den 7. Oktober 2022. Zu dieser Sitzung erschien die Antragsgegnerin nicht. Sie war auch zu einer Sitzung des Aufsichtsrates am 22. September 2022 nicht erschienen, zu der die Beteiligte zu 2) geladen hatte.
Nachdem dem Sohn des Herrn L und der Beteiligten zu 2) mitgeteilt worden war, dass am 6. Oktober 2022 eine Hauptversammlung der Gesellschaft stattgefunden haben soll, auf der der ARV und die Beteiligte zu 2) als Mitglieder des Aufsichtsrates abgewählt und an ihrer Stelle zwei neue Mitglieder gewählt worden seien, stellten beide am 10. Oktober 2022 beim Landgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit Beschlussverfügung vom selben Tag untersagte das Landgericht Berlin der Gesellschaft, sämtliche auf der außerordentlichen Hauptversammlung vom 6. Oktober 2022 gefassten Beschlüsse zu vollziehen und anzuerkennen.
Am Abend des 11. Oktober 2022 versandte der ARV eine Einladung zu einer Sitzung des Aufsichtsrates am 14. Oktober 2022. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Beschlussfassung über die Abberufung des Vorstands der Gesellschaft sowie über dessen Abberufung als Geschäftsführ...