Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschränkung der Erstverbüßerregel bei BtM-Handel
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Erstverbüßer kann grundsätzlich angenommen werden, dass er sich durch die bisherige Strafvollstreckung hinreichend beeindruckt zeigt und fortan von weiteren Straftaten Abstand nehmen wird. Gegenüber Tätern, die mit Rauschgift handeln, erfährt dieser Grundsatz jedoch eine Einschränkung, weil durch die Beteiligung am Rauschgifthandel die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in hohem Maße berührt sind.
Normenkette
StGB § 57 Abs. 1; BtMG §§ 29 ff.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 14.02.2022; Aktenzeichen 584 StVK 255/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 14. Februar 2022 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht D. verurteilte den Beschwerdeführer am 7. Mai 2018 wegen "vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben tatmehrheitlichen Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten. Zwei Drittel der Strafe sind seit dem 26. Dezember 2021 verbüßt, das Strafende ist für den 26. Januar 2024 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Februar 2022 hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 2. März 2022.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und entsprechend § 311 Abs. 2 StPO rechtzeitig erhoben.
2. Sie ist jedoch aus den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, unbegründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel am 24. März 2022 u.a. wie folgt Stellung genommen:
"Zu Recht ist die Strafvollstreckungskammer zu dem Ergebnis gekommen, dass eine günstige Prognose nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB nicht gestellt werden kann.
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die danach zu treffende Prognoseentscheidung stellt im Gegensatz zu einer Prognoseentscheidung gemäß § 56 Abs. 1 StGB nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Entscheidend ist, ob eine Haftentlassung verantwortet werden kann, wobei eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Vollzugs und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erforderlich ist (vgl. BGH-Beschluss vom 25. April 2003 - StB 4/03 in juris). Bei der Prüfung sind namentlich die Persönlichkeit, das Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten im Vollzug, die Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für den Verurteilten zu erwarten sind. Damit ist den Strafvollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. Januar 2016 - 2 BvR 2961/12 + 2484/13 in juris).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts kann bei einem Erstverbüßer im Rahmen der Zwei-Drittel-Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB im Allgemeinen zwar angenommen werden, dass sich der Verurteilte durch die bisherige Strafvollstreckung hinreichend beeindruckt zeigt und fortan von weiteren Straftaten Abstand nehmen wird. Diese Vermutung gilt jedoch nicht ausnahmslos und besagt insbesondere nicht, dass in den Fällen der Erstverbüßung gleichsam automatisch die für die Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Legalprognose bejaht werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 5 Ws 159/16 -). Er erfährt wegen der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Einschränkung, wenn besondere Umstände vorliegen. So führt die wiederholte Begehung einer weiteren Straftat kurz nach Verhängung richterlicher Sanktionen regelmäßig dazu, dass bei dem Verurteilten an die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erhöhte Maßstäbe anzusetzen sind (vgl. KG, Beschlüsse vom 15. März 2006 - 5 Ws 104/06 - und vom 24. August 1993 - 5 Ws 278-279/93 -). Gegenüber Tätern, die mit Rauschgift handeln, erfährt das so genannte Erstverbüßerprivileg ebenfalls eine Einschränkung, weil durch die Beteiligung am Rauschgifthandel - vorliegend in nicht geringer Menge - die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in hohem Maße berührt sind. Daraus folgt eine besondere Gefährlichkeit, die wegen der Charaktermängel, welche sie offenbart, zu einer strengeren Prüfung zwingt (vgl. KG, Beschlüsse vom 3. Januar 2013 - 2 Ws 520/12 - und 6. Juli 2006 - 5 Ws 273/06 - juris Rn. 4).
Eine Reststrafenaussetzung...