Leitsatz (amtlich)
1. Die Auflage an einen Elternteil, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen, kann im Fall der Kindeswohlgefährdung auf § 1666 BGB gestützt werden.
2. Auflagen und Gebote nach § 1666 BGB können grundsätzlich nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG iVm. § 888 ZPO vollstreckt werden, wenn sie hinreichend bestimmt sind und die Vollstreckung im Einzelfall geeignet und verhältnismäßig erscheint.
3. Lehnt ein Elternteil ein Anti-Gewalt-Training ausdrücklich ab oder fehlt ihm für eine Teilnahme die erforderliche Einsichtsfähigkeit und Änderungsbereitschaft, ist eine weitere Durchsetzung der Auflage mit Zwangsmitteln unzulässig.
4. Typischerweise haben Gebote nach § 1666 BGB nicht primär den Zweck, vollstreckt zu werden, sondern sie zielen auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, indem sie einen stärkeren Eingriff in das Sorge- und Umgangsrecht, etwa eine Sorgerechtsentziehung, erübrigen können (Anschluss OLG Düsseldorf, FamRZ 2023, 1208; OLG Koblenz, FamRZ 2017, 453).
Verfahrensgang
AG Berlin-Kreuzberg (Aktenzeichen 155A F 7949/23) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg vom 11.06.2024 - 155A 7949/23 - betreffend die Anordnung eines Zwangsgeldes, ersatzweise Zwangshaft aufgehoben und das Vollstreckungsverfahren eingestellt.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt für ihre Kinder L. und A.
Im Sorgerechtsverfahren 155A F 4022/23 des Amtsgerichts Kreuzberg einigten sich die Eltern im Termin am 08.06.2023 auf eine teilweise Abänderung des am 14.01.2022 im Verfahren 155A 10773/21 ergangenen Umgangsbeschlusses. Ferner hat das Amtsgericht das hiesige einstweilige Anordnungsverfahren nach § 1666 BGB eingeleitet und mit Beschluss vom 09.06.2023 - erlassen am 12.06.2023 - folgende Auflagen erteilt:
- Die Eltern sollen bei den Übergaben der Kinder nicht aufeinandertreffen, hierzu sind den Eltern verschiedene Verhaltensgebote erteilt worden (insbesondere sollte der Vater die Kinder an der Haustür abgeben und die Wohnung der Mutter nicht betreten).
- Die Mutter hat eine Beratung bei einer Fachberatungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt wahrzunehmen.
- Den Eltern wird aufgegeben, L. bei einer Trennungskindergruppe anzumelden und sie regelmäßig teilnehmen zu lassen.
Ferner hat es dem Vater folgende Auflage erteilt:
"Dem Kindesvater wird aufgegeben, eine Beratung bei dem Berliner Zentrum für Gewaltprävention e.V. (...) über mindestens neun Monate wahrzunehmen. Dies ist gegenüber dem Gericht durch eine Teilnahmebescheinigung nachzuweisen."
Zur Begründung hat das Amtsgericht insbesondere ausgeführt, die Auflagen seien nach § 1666 BGB, § 49 FamFG erforderlich, weil die Kinder in der Vergangenheit immer wieder körperliche Auseinandersetzungen unter den Eltern miterlebt hätten. Durch Strafurteil vom 15.04.2021 sei der Vater u.a. wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden, weil A... von einer vom Vater getretenen Plastikflasche am Kopf getroffen worden sei. Auch wenn der Vater angebe, bereits mehrfach Antiaggressionstrainings absolviert zu haben, lägen dem Gericht hierüber keine Nachweise vor. Zur Verbesserung der Kommunikation und der Impulskontrolle des Vaters sei daher ein derartiges Training zu absolvieren und dies gegenüber dem Gericht nachzuweisen.
Das Jugendamt hat am 5.12.2023 mitgeteilt, das Berliner Zentrum für Gewaltprävention habe sich telefonisch gemeldet und erklärt, der Vater habe dort an zwei Vorgesprächen zur Aufnahme in ein Antigewaltprogramm über neun Monate wahrgenommen. Der Vater habe in den Gesprächen durchweg verneint, Gewalt an der Mutter und seinem Sohn geübt zu haben. Das Zentrum sei zu der Einschätzung gekommen, das Beratungsprogramm mit dem Vater nicht fortzuführen, weil er keinerlei Einsicht gezeigt habe und sein Gewaltverhalten offensichtlich nicht verändern wolle. Es werde kein Beratungserfolg gesehen, wenn keine Veränderungsbereitschaft vorhanden sei und die Probleme nicht erkannt würden. Der Vater habe konstant die meisten Anteile bei der Mutter gesehen und seine Ausbrüche mit den Provokationen der Mutter begründet. Die Beratungsstelle hat dies ergänzend in einem Schreiben vom 4.12.2023 bestätigt, wonach die Auswahl zum Gruppenprogramm anhand mehrerer Gespräche erfolge, bei denen verschiedene Eignungskriterien wie Tateinsichtsverhalten, Veränderungsmotivation und inhaltliche Eignung der Person für das Programm geprüft würden. Der Vater habe an zwei 60-minütigen Eignungsgesprächen teilgenommen. Da es nach Aussage des Vaters zu keinen Gewalthandlungen gegenüber der Mutter gekommen sei, sehe das Zentrum keine Eignung für das Gruppenprogramm und biete daher keine weiteren Gesprächstermine an.
Im Termin vom 06.06.2024 im Hauptsacheverfahren 155A F 4022/23 ist dies nochmals erörtert worden. Das Jugendamt hat berichtet, dass es am 07.02.2024 um 00.30 Uhr erneut zu einem...