Entscheidungsstichwort (Thema)
Urkundenfälschung verklammert mehrere Fahrten, so auch durch Unfallgeschehen an sich sachlich-rechtlich getrennte (§ 53 StGB) Verkehrsstraftaten
Leitsatz (amtlich)
1. Zwar erfordert eine Verurteilung wegen §§ 1, 6 PflVG grundsätzlich Feststellungen, die das Revisionsgericht nachvollziehen lassen, dass ein Versicherungsvertrag zivilrechtlich nicht zustande gekommen oder erloschen ist. Äußert ein Angeklagter aber glaubhaft, er wisse um den fehlenden Versicherungsschutz, sind solche detaillierten Feststellungen erlässlich.
2. Auch der Beifahrer kann ein nicht haftpflichtversichertes KFZ im Sinne des § 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG gebrauchen (und nicht nur dessen Gebrauch nach § 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG gestatten), wenn er als Käufer und damit (im wirtschaftlichen und "materiellen" Sinn) Halter des PKW kraft Tatplanung und Kenntnis aller strafbarkeitsbegründenden Umstände die Tatherrschaft hat und die Fahrt der Verfolgung seiner persönlichen Ziele dient.
3. Zwar ist nach der sog. Zäsurrechtsprechung (BGHSt 21, 203) anerkannt, dass der vom betrunken oder ohne Fahrerlaubnis fahrenden Täter verursachte und bemerkte Verkehrsunfall konkurrenzrechtlich eine Zäsur bildet und der hiernach weiterfahrende Täter eine andere und neue Tat im sachlich-rechtlichen Sinn (§ 53 StGB) begeht. Dieses mehraktige Geschehen wird aber von dem Grundsatz überlagert, dass das Anbringen falscher Kennzeichen und das spätere Gebrauchen der so hergestellten unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit bilden, so dass die einmalige Urkundenfälschung sogar mehrere Fahrten und mithin auch ein durch einen Verkehrsunfall getrenntes und daher mehraktiges Tatgeschehen zu einer Tat verklammern.
Normenkette
StGB §§ 52-53, 267 Abs. 1; StPO § 267 Abs. 1; PflVG §§ 1, 6; VVG §§ 37-38
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.11.2022; Aktenzeichen (561) 285 AR 313/22 Ns (61/22)) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. November 2022 wird unter folgender klarstellender Neufassung des Schuldspruchs verworfen:
Der Angeklagte ist des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, mit Urkundenfälschung, mit fahrlässiger Körperverletzung und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sowie eines weiteren Vergehens des vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig.
Gründe
Erläuternd bemerkt der Senat:
1. Die Umstellung des Schuldspruchs dient der Klarstellung.
2. Nachdem der Angeklagte sich in Bezug auf den fehlenden Versicherungsschutz glaubhaft geständig eingelassen hatte, waren genaue Feststellungen zum nicht bestehenden Versicherungsschutz erlässlich. Zwar verlangt die obergerichtliche Rechtsprechung in der Regel tatrichterliche Feststellungen, die es dem Revisionsgericht ermöglichen, das Erlöschen (oder die Nichtentstehung) des Versicherungsschutzes zivilrechtlich nachzuvollziehen (vgl. Senat StRR 2021, Nr. 10 [Volltext bei juris]; VRS 134, 15; Beschluss vom 5. Juni 2000 - 3 Ss 31/00 - [juris]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 - 1 Ss 24/20 [juris] -). Dies ist jedoch kein Selbstzweck, sondern wird dem Umstand gerecht, dass die Wirksamkeit eines Rücktritts bei versäumter Zahlung der Erstprämie (§ 37 VVG) oder einer Kündigung bei versäumter Zahlung der Folgeprämie (§ 38 VVG) vom (fast immer formlos veranlassten) Zugang beim Versicherungsnehmer abhängt. Äußert ein Angeklagter aber glaubhaft, er wisse um den fehlenden Versicherungsschutz, sind diese Feststellungen erlässlich.
3. Es ist sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer darin den eigenständigen Gebrauch (§ 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG) eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeugs (und nicht nur dessen Gestatten i. S. d. § 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG) gesehen hat, dass der Angeklagte als Käufer und damit (im wirtschaftlichen und "materiellen" Sinn) Halter des PKW (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, StVR 45. Aufl., § 7 StVG Rn. 18 m. w. N.) im Wissen um die fehlende Haftpflichtversicherung und den Einsatz gefälschter Kennzeichen bei der Fahrt einer anderen Person Beifahrer war. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Angeklagte kraft Tatplanung und Kenntnis aller strafbarkeitsbegründenden Umstände die Tatherrschaft hatte und die Fahrt der Verfolgung seiner persönlichen Ziele diente, nämlich der Inbesitznahme des gekauften Fahrzeugs. Die Tathandlung ging damit über das Gestatten des Fahrzeuggebrauchs hinaus und stellte einen eigenständigen Gebrauch dar.
4. Unter demselben Gesichtspunkt des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB) hat der Angeklagte auch die Urkundenfälschung nicht nur als Teilnehmer, sondern täterschaftlich begangen.
5. Es dürfte höchstrichterlicher Rechtsprechung entsprechen, dass das Landgericht in dem das Unfallgeschehen einschließenden Teil der Fahrt (§§ 21 StVG, 1, 6 PflVG, 229, 267 StGB) sowie in der nach § ...