Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. § 1956 BGB sind für die Kausalitätsprüfung des Irrtums für den hypothetischen Kausalverlauf die dem Anfechtenden zum Zeitpunkt des Fristablaufs bekannten und darüber hinaus die für ihn damals mit zumutbarer Anstrengung erfahrbaren Umstände zugrunde zu legen, nicht jedoch die erst wesentlich später bekannt gewordenen Tatsachen, die zu der weiteren Anfechtung dieser Anfechtungserklärung geführt haben.

2. Für diese zweite Anfechtung gelten die Fristen des § 121 BGB, nicht die längeren Fristen des § 1954 BGB.

 

Normenkette

BGB § 119 Abs. 1, §§ 121, § 1954 ff.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Mitte (Beschluss vom 14.08.2014; Aktenzeichen 62 VI 539/96)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 10.06.2015; Aktenzeichen IV ZB 39/14)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des AG Mitte vom 14.8.2014 - Nachlassgericht - wird auf ihre Kosten bei einem Beschwerdewert bis zu 22.000 EUR (ca. 1/3 des Nachlasswertes) zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind neben einem nachverstorbenen älteren Bruder die Kinder der Erblasserin. Die Beteiligten zu 3) bis 5) sind die Kinder der Beteiligten zu 1).

Am 19.11.1996 ging bei dem Nachlassgericht folgende notariell beglaubigte Erklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996 ein: "Die Erbschaft habe ich nicht annehmen wollen. Über die Frist zur Ausschlagung war mir nichts bekannt. Ich fechte daher die Versäumnis der Ausschlagungsfrist hiermit an und schlage die Erbschaft nach meine Mutter aus allen möglichen Berufungsgründen aus. Der Nachlass ist überschuldet" (Bl. 1 bis 3 d.A.).

Am 29.8.2013 ging die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung der Erbausschlagung der Beteiligten zu 1) vom 28.8.2013 (Bl. 26 f.) ein, in der sie die Anfechtung damit begründete, dass sie bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, der Nachlass sei überschuldet, jetzt jedoch durch ein Schreiben von Geneologen erfahren habe, dass zum Nachlass ihrer Mutter noch ein Anteil am Nachlass einer Tante ihrer Mutter, der Frau M.L...geb. K..., verstorben 1955, gehört. Von dem Genealogen habe sie telephonisch erfahren, dass auf sie und ihre Brüder wohl ca. 12.000 EUR entfallen würden. Sie gehe deshalb davon aus, dass der Nachlass ihrer Mutter in Wirklichkeit nicht überschuldet war.

Der Beteiligte zu 2) hat durch notariell beurkundete Erklärung vom 12.11.2013 (Bl. 45 bis 52) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der aufgrund gesetzlicher Erbfolge ihn und den nachverstorbenen Bruder zu je 1/3 und im Hinblick auf die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) deren Kinder zu je 1/9 als Miterben ausweist; für den Fall, dass die Ausschlagung nicht wirksam sein sollte, hat er hilfsweise die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der statt der Beteiligten zu 3) bis 5) die Beteiligte zu 1) als weitere Miterbin zu 1/3 ausweist. Den Wert des auf den Antrag entfallenden reinen Nachlasswertes hat er mit ca. 65.000 EUR angegeben; hierbei handele es sich um den Anteil der Erblasserin am Nachlass einer vorverstorbenen Tante.

Das Nachlassgericht hat durch den mit der Beschwerde der Beteiligten zu 1) angefochtenen Beschluss vom 14.8.2014 die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und angekündigt, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist dem Hauptantrag zu entsprechen. Dem Hilfsantrag könne nicht gefolgt werden. Die Beteiligte habe im Jahr 2013 ihre Erklärung vom 13.11.1996 nicht mehr anfechten können, da für die Anfechtung der Anfechtungserklärung nicht die 30-jährige Frist des § 1954 BGB, sondern die 10-jährige Frist des § 121 Abs. 2 BGB gelte.

Nach Zustellung des Beschlusses am 20.8.2014 an den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) ist dessen Beschwerde vom 11.9.2014 am 12.9.2014 eingegangen, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.

II. Die gem. §§ 58 ff. FamFG statthafte, form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Nachlassgericht hat über den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge durch die funktionell zuständige Rechtspflegerin (§ 3 Nr. 2c) RPflG entschieden; ein Richtervorbehalt (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG) greift hier nicht ein.

Da die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes verwitwet war und eine testamentarische Verfügung nicht ermittelt worden ist, sind ihre Kinder zu gleichen Teilen ihre gesetzlichen Erben (§ 1924 Abs. 1 und 4 BGB). Die Beteiligte zu 1) ist durch Ausschlagung als Miterbin weggefallen mit der Folge, dass an ihre Stelle ihre Kinder getreten sind (1953 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 1924 Abs. 3 BGB).

1. Die erste Anfechtungserklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996, mit der sie die Annahme der Erbschaft und Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten hat, war wirksam.

a) Gemäß § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts über, sie auszuschlagen (Anfall der Erbschaft). Gemäß § 1943 BGB kann der Erbe die Erbschaf...

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