Entscheidungsstichwort (Thema)
Blutentnahme bei Cannabisverdacht. Gefahr im Verzug bei Nichterreichbarkeit des zuständigen Richters
Leitsatz (amtlich)
Wird innerhalb von eineinhalb Stunden nach Gestellung eines des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung von Cannabis Verdächtigen (§ 24a Abs. 2 StVG) der für die Anordnung einer Blutentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO zuständige Bereitschaftsrichter nicht erreicht, so liegt Gefahr im Verzuge vor.
Normenkette
StPO § 81a Abs. 2; StVG § 24a Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 17.07.2008; Aktenzeichen 341 OWi 426/08) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Juli 2008 im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der verhängten Geldbuße mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 und 3 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro verurteilt und gegen ihn nach § 25 StVG ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet. Die die Verletzung sachlichen und - wie die Begründung ergibt - auch formellen Rechts rügende Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat lediglich hinsichtlich der verhängten Geldbuße (vorläufigen) Erfolg.
1. Die vom Betroffenen als Verletzung materiellen Rechts bezeichnete Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe die dem Betroffenen unter Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO trotz Nichtvorliegens von Gefahr im Verzuge lediglich aufgrund der Anordnung des Polizeibeamten entnommene Blutprobe trotz des daraus folgenden Beweisverwertungsverbots der Verurteilung zugrunde gelegt, ist zumindest unbegründet.
a) Dabei kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge überhaupt in zulässiger Form erhoben worden ist, weil in der Hauptverhandlung Widerspruch gegen die Beweisverwertung zu erheben gewesen und das Vorliegen des erforderlichen Widerspruchs in der Begründung des Rechtsmittels vorzutragen gewesen wäre (so OLG Hamburg VRS 114, 275 (282 f.)), was hier nicht geschehen ist; denn ausweislich der Urteilsfeststellungen lag hinsichtlich der Anordnung der Blutentnahme kein Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO vor.
b) Unzutreffend ist die Annahme der Rechtsbeschwerde, Gefahr im Verzuge könne vorliegend nicht gegeben gewesen sein, weil Betäubungsmittel im Körper langsam abgebaut würden, oft auch noch nach Monaten nachweisbar seien und eine Sanktion nach § 24 a StVG auch bei einer "geringsten Menge von Drogen im Blut des Betroffenen" ausgesprochen werden könne. Zum einen ist § 24 a Abs. 2 StVG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend (vgl. BVerfG NJW 2005, 349 (351)) verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Wirkstoffkonzentration festgestellt sein muss, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, wobei dies den Empfehlungen der so genannten Grenzwertkommission folgend bei einem Nachweis von mindestens 1 mg/ml Tetrahydrocannabinol (THC), einem Abbauprodukt des Cannabis, der Fall ist (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 1373 (1374) und VRS 112, 54 (57 f); OLG Karlsruhe VRS 112, 130; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 249; OLG Hamm VRR 2008, 351; OLG Schleswig, Beschluss vom 18. September 2006 - 1 Ss OWi 119/06 - juris Rn. 7 f.). Außerdem ist anerkannt, dass zum Nachweis einer auf dem Konsum von Cannabis beruhenden Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG im Hinblick auf den schnellen Abbau von THC im Blut schnellstmöglich nach Beendigung der Teilnahme des Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr eine Blutentnahme zu veranlassen ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 14. August 2008 - 12 ME 183/08 - juris Rdn. 6; BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2004 - 11 CS 4.157 - juris Rn. 10; König in LK, StGB 11. Aufl., § 316 Rdn. 151), zumal über die Dauer der Nachweisbarkeit von THC im Blut die Auffassungen weit auseinander gehen (vgl. zum Meinungsspektrum: Körner, BtMG 6. Aufl., C 4 Rn. 97).
c) Nach den Urteilsfeststellungen haben die Polizeibeamten, die den Betroffenen am 2. Dezember 2007 (einem Sonntag) um 0.15 Uhr mit seinem Fahrzeug anhielten und überprüften, mehrfach vergeblich versucht, den zuständigen Richter vom Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Tiergarten telefonisch zu erreichen. Bei diesem hat sich niemand gemeldet, und bei einem letzten Anruf um 01.43 Uhr ging lediglich die Mailbox an. Nach Einholung einer zustimmenden Stellungnahme des Staatsanwalts vom Tagesdienst der Staatsanwaltschaft Berlin ist dann unter Annahme von Gefahr im Verzuge von den Polizeibeamten die Durchführung der Blutentnahme angeordnet und um 02.15 Uhr dem Betroffenen Blut entnommen worden. Unter Berücksichtigung der obigen Darlegungen ist, ...