Leitsatz (amtlich)
Für den sich aus einem bei einem Fahrstreifenwechsel ereignenden Unfall ergebenden Beweis des ersten Anscheins ist nicht erforderlich, dass der Fahrstreifenwechsel bereits vollständig vollzogen war. Der Fahrstreifenwechsel mit den Sorgfaltsanforderungen aus § 7 Abs. 5 StVO beginnt bereits mit dem Verlassen des - ggf. auch nicht markierten - Fahrstreifens.
Die Kosten eines aufgrund unwahren Sachvortrags einer Partei eingeholten Sachverständigengutachtens können dieser gemäß § 96 ZPO auferlegt werden, auch wenn sie in der Hauptsache nicht vollständig unterliegt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 42 O 305/18) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 2. Oktober 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 42 des Landgerichts Berlin unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4305,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.01.2019 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, 780,80 EUR an die XXX GbR zur Gutachtennummer XXX zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, 571,44 EUR an die XXX Rechtsschutzversicherung AG, XXX zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte zu 1 hat die Kosten des vom Senat eingeholten Sachverständigengutachtens zu tragen. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 15 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 85 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Von der Abfassung eines tatbestandlichen Teils des Urteils wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
Die Feststellungen des Landgerichts zum Unfallhergang können nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nummer 1 ZPO der Entscheidung des Senats zugrunde gelegt werden. Aufgrund des Spurenbildes an dem klägerischen Fahrzeug (Andrehspuren der Reifen des von dem Beklagten zu 1 geführten Fahrzeugs am klägerischen Fahrzeug) bestanden konkrete Anhaltspunkte für Bedenken gegen die Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen.
Aufgrund des vom Senat eingeholten Unfallrekonstruktionsgutachtens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das vom Beklagten zu 1 geführte Fahrzeug entgegen seiner Behauptung nicht im linken Fahrstreifen stehend angefahren wurde. Vielmehr verließ es den linken Fahrstreifen nach rechts in den von dem Kläger genutzten Fahrstreifen, wie sich aus der bildlichen Darstellung auf Seite 43 des Sachverständigengutachtens ergibt. Einwendungen gegen diese Feststellungen des Sachverständigen werden seitens der Parteien nicht erhoben, vielmehr haben sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass diese Feststellungen der Entscheidung des Senats zugrunde gelegt werden können.
Aufgrund dieses Sachverhalts trifft den Beklagten zu 1 die alleinige Haftung für den Verkehrsunfall. Er hat danach einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen oder zumindest begonnen.
Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser Verkehrsteilnehmer den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat (vgl. z.B. KG NZV 2011, 185; NZV 2005, 527; VRS 106, 23 m.w.N. KGR 2003, 272; OLG München v. 5.11.2014 - 10 U 323/14, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unerheblich ist, dass der Fahrstreifenwechsel noch nicht vollständig vollzogen war. Der Fahrstreifenwechsel mit den Sorgfaltsanforderungen aus § 7 Abs. 5 StVO beginnt mit dem Verlassen des - ggf. auch nicht markierten - Fahrstreifens (vgl. z.B. OLG Düsseldorf ZfSch 2016, 616; DAR 1987, 389; OLG München v. 8.4.2011 - 10 U 5122/10 -, juris). Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen (vgl. Abbildung 62) hatte der Beklagte zu 1 seinen Fahrstreifen zumindest mit dem rechten Vorderrad und dem vorderen Teil seines Fahrzeugs verlassen. Der sich aus dem (begonnenen) Fahrstreifenwechsel ergebende Anscheinsbeweis ist nicht entkräftet. Vielmehr spricht der vom Sachverständigen festgestellte Unfallablauf deutlich dafür, dass der Beklagte zu 1 keine ausreichende Rückschau vorgenommen hat.
Derjenige, der einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, haftet wegen der gemäß § 7 Abs. 5 StVO zu beachtenden höchstmöglichen Sorgfalt in der Regel für die Unfallschäden allein. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Ums...