Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Schmerzensgeldes unter Verwertung von früheren Gerichtsentscheidungen als Bezugsgrößen
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 14.10.2002; Aktenzeichen 24 O 238/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.10.2002 verkündete Teilurteil des LG Berlin - 24 O 238/02 - abgeändert:
Die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von insgesamt 10.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 17.6.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte zu 3) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist weitgehend begründet. Der Klägerin steht über das außergerichtlich von der Beklagten zu 1) gezahlte Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 DM (= 20.451,68 Euro) nicht nur der vom LG zuerkannte Betrag von weiteren 5.000 Euro zu, sondern ein weiterer Betrag von insgesamt 10.000 Euro. Das LG hat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Unrecht zu Lasten der Klägerin bei der Heranziehung von Vergleichsentscheidungen nicht nur die Geldentwertung außer Acht gelassen, sondern auch fälschlich angenommen, der Genugtuungsaspekt spiele nach der Verurteilung der Beklagten zu 3) wegen fahrlässiger Körperverletzung für das Schmerzensgeld keine Rolle mehr. Die Berücksichtigung beider Umstände führt - in Abänderung des angefochtenen Urteils - zu einer weiter gehenden Verurteilung der Beklagten zu 3).
A. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann eine Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Prüfungsgegenstand des Berufungsgerichts ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zunächst die Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts und die darauf gestützte Rechtsanwendung. Darüber hinaus neu vorgetragene Tatsachen darf das Berufungsgericht seiner Entscheidung nur zugrunde legen, wenn ihre Berücksichtigung zulässig ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
B. Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen vor, denn das LG hat die bei Bemessung des Schadensersatzes zu beachtenden Faktoren nicht hinreichend berücksichtigt; die gebotene Beachtung der Geldentwertung und der Genugtuungsfunktion rechtfertigen ein höheres Schmerzensgeld (weitere 10.000 Euro, § 847 BGB a.F., § 287 ZPO).
I. Der rechtliche Ausgangspunkt des LG für die Bemessung von Schmerzensgeld nach § 847 BGB a.F. ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die auf S. 9 des Urteils dargelegten Grundsätze entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa KGReport 2003, 140).
1. Hinzuzufügen ist freilich, dass bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe die besondere Natur des Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigen ist. Dieser ist vom Gesetzgeber lediglich formal als Schadensersatzanspruch ausgestaltet, seinem Inhalt nach aber jedenfalls nicht ein solcher der üblichen, d.h. auf den Ausgleich von Vermögensschäden zugeschnittenen Art. Immaterielle Schäden betreffen gerade nicht in Geld messbare Güter. Daher lassen sie sich niemals in Geld ausdrücken und kaum in Geld ausgleichen. Die Eigenart des Schmerzensgeldanspruchs hat zur Folge, dass dessen Höhe nicht auf Heller und Pfennig bestimmbar und für jedermann nachvollziehbar begründbar ist. Auch deswegen eröffnet der in § 847 Abs. 1 S. 1 BGB vorgeschriebene Maßstab der Billigkeit dem Richter einen Spielraum, den er durch eine Einordnung des Streitfalls in die Skala der von ihm in anderen Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder ausfüllen muss (vgl. KG VerkMitt 1996 Nr. 60, S. 44; VersR 1999, 504 [506] = NZV 1999, 329 [330]).
2. Ferner ist die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes aus älteren Vergleichsentscheidungen nur dann aussagekräftig, wenn die Geldentwertung seit Erlass dieser Entscheidungen berücksichtigt wird (KG v. 1.10.2001 - 12 U 2139/00, KGReport Berlin 2002, 98; vgl. etwa die Übersicht zur Entwicklung der Verbraucherpreise in Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1376 Rz. 30).
Im Übrigen ist zu beachten, dass eine Bindung an derartige Entscheidungen nach Art eines Präjudizes schon deshalb nicht besteht, weil eine völlige Identität der erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen praktisch nie bestehen wird. Stets werden Unterschiede nach verletzter Person, Art der Verletzungen und Dauerfolgen sowie der Behandlungen bleiben. Das Ziel, auch im Bereich des Schmerzensgeldes Gleiches gleich zu behandeln, ist damit immer nur annäherungsweise erreichbar. Die herangezogenen Entscheidungen können mithin nur einer groben Klassifizierung der Beeinträchtigungen dienen.
II. Die Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigt eine Verurteilung zur Zahlung weiteren Schmerzensgeldes.
1. Das LG hat sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldrahmens (§ 847 BGB a.F., § 287 ZPO) auf zutreffend ausgewählte Vergleichsentscheidungen gestützt.
a) Die auf S. 7 ff. des angefochtenen Urteils dargelegten Verletzungen, Unfallf...