Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei erheblichen Verletzungen (hier: fortschreitende beidseitige Unterschenkelamputation und Schädelfraktur) infolge einer vorsätzlichen Straftat (250.000 Euro und Schmerzensgeldrente).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 15.01.2004; Aktenzeichen 33 O 283/03) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.1.2004 verkündete Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 33 des LG Berlin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 250.000 Euro zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2002 zu zahlen.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger ab dem 1.1.2003 eine Schmerzensgeldrente von 1. 5000 Euro je Kalendervierteljahr, zahlbar vierteljährlich im Voraus, zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 15.1.2004 verkündete Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 33 des LG Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.
Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor:
Das LG habe seine Entscheidung unzutreffend auf die Vorschrift des § 847 BGB a.F. gestützt, vielmehr sei die seit dem 1.8.2002 geltende Vorschrift des § 253 BGB anzuwenden. In der neuen Regelung des § 253 BGB sei der Ersatz immaterieller Schäden neu aufgenommen worden, was bei der Tatsachenwürdigung des LG völlig unberücksichtigt geblieben sei. Zwar sei das LG zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsfunktion bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Rechnung zu tragen sei; auch die langwierigen Rehabilitationsmaßnahmen und die psychischen Beeinträchtigungen seien schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Diesen Erwägungen habe das LG jedoch in seiner Entscheidung nur unzureichend Rechnung getragen und dem Kläger ein zu geringes Schmerzensgeld und Rente zugesprochen.
Dass das Gericht sich an vergleichbarer Rechtsprechung zu orientieren habe, mag zwar zutreffen. Es sei aber bedenklich, ob dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Anlehnung an Art. 3 GG vereinbart sei. Zum einen gleiche kein schmerzensgeldbegründender Lebenssachverhalt dem anderen. Zum anderen würde hieraus eine in die Vergangenheit gerichtete Fixierung der Rechtsprechung folgen, die eine Weiterentwicklung und Anpassung an aktuelle Gegebenheiten verhindere. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass es eine Vielzahl von Entscheidungen gebe, die in ihrer Begründung und Entscheidung nicht unterschiedlicher sein könnten, obwohl ihnen sogar manchmal vergleichbare Sachverhalte zugrundelägen.
Es bestehe eine gerichtliche Verpflichtung sich vom Einzelschicksal ein Bild zu machen; ein Rückgriff von Zusammenstellungen von Entscheidungen sei unzureichend und für die Entscheidungsfindung bedenklich. In diesen Zusammenstellungen seien die jeweiligen Lebenssachverhalte nur unvollständig wiedergegeben und für die Rechtsprechung auch nicht repräsentativ.
Der weitere vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Vergleich zu einer Entscheidung des LG Potsdam sei nicht geeignet, den klägerischen Schmerzensgeldanspruch zu beschränken. Beide Taten seien nicht vergleichbar. Auch die Argumentation zur Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahre 1974 gehe fehl. Es handele sich um eine überholte und völlig veraltete Entscheidung. Ferner seien die Verletzungen einer 7 1/2 jährigen Schülerin auf einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen, welche nicht ansatzweise mit einem versuchten Mord als Vorsatzstraftat vergleichbar sei.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei weiter zurückgegangen. Der Kläger bemühe sich, eine auf seine Behinderung zugeschnittene Lehrstelle zu erhalten, was aber aufgrund der notwendigen Behandlungen zum Teil unmöglich sei. Auch die aus der Behinderung des Klägers resultierenden Mehrkosten (wie z.B. behindertengerechte Wohnausstattung sowie medizinische Zuzahlungen) würden in das Urteil nur ungenügend einfließen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 15.1.2004 verkündeten Urteils des LG Berlin - 33 O 283/03 den Beklagten zu verurteilen, weitere 75.000 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz an den Kläger zu zahlen; den Beklagten ferner zu verurteilen, ab dem 1.1.2003 weitere 900 Euro Schmerzensgeldrente je Kalendervierteljahr, zahlbar vierteljährlich im voraus, an den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte erwidert:
Das LG habe sich bei seiner Entscheidung zutreffend an vergleichbaren Fällen orientiert. Dies täte auch der Kläger, wenn er andere Entscheidunge...