Leitsatz (amtlich)
1. Ob ein Werkvertrag wegen der Störung seiner Geschäftsgrundlage gekündigt werden kann, richtet sich nicht nach § 648a BGB, sondern nach § 313 BGB.
2. Bei einem veranstaltungsbezogenen Miet- oder Werkvertrag, der vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, ist die Geschäftsgrundlage von dem Zeitpunkt an gestört, in dem hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Veranstaltung wegen eines coronabedingten Verbots nicht durchgeführt werden kann.
3. Bei einer solchen Störung der Geschäftsgrundlage kann dem Leistungsempfänger die Verschiebung der Veranstaltung auch dann vorrangig gegenüber der Vertragskündigung zumutbar sein, wenn der Leistungserbringer nur gegen Aufpreis zur Zustimmung bereit ist. Es kommt entscheidend auf die Gesamtbewertung der Konditionen an.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 11 O 300/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Urteil des Landgerichts vom 16. August 2021 wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung in den Ziffern 1 bis 3 des Tenors abgeändert, sodass es künftig wie folgt lautet:
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 41.482,72 EUR sowie weitere 1.434,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus den folgenden Teilbeträgen zu zahlen:
Aus 35.700,00 EUR ab dem 1. Mai 2020,
aus 5.782,72 EUR ab dem 8. Mai 2020 und
aus 1.434,40 EUR ab dem 23. Juli 2020.
2. Die weitergehende Klage gegen die Beklagte zu 1) sowie die Klage gegen die Beklagte zu 2) werden abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits über beiden Instanzen werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen diese selbst zu 60 %, die Beklagte zu 1) zu 40 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen diese selbst zu 67 % und die Klägerin zu 33 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten um die Rückgewähr von Zahlungen nach dem Ausfall zweier Veranstaltungen im Jahr 2020.
Die Klägerin ist eine Eventagentur, die gewerblich Großveranstaltungen organisiert.
Die miteinander verbundenen Beklagten, die dieselbe Geschäftsanschrift und denselben Geschäftsführer haben, betreiben gemeinsam den Veranstaltungsort W in Berlin (im Folgenden: W). Die Beklagte zu 1) vermietet diese Räumlichkeiten an Kunden, die dort eine Veranstaltung durchführen wollen. Die Beklagte zu 2) erbringt gastronomische Leistungen im W.
Im Februar 2020 wollte die Klägerin die folgenden Veranstaltungen im W durchführen:
Das "I" am 13. Mai 2020, eine Mitarbeiterveranstaltung der I GmbH mit Plenarveranstaltung und einzelnen Workshops für ca. 850 Teilnehmer (im Folgenden: Mai-Event) sowie das G am 29. August 2020 mit 400 Gästen (im Folgenden: August-Event).
Am 4./5. Februar 2020 mietete die Klägerin bei der Beklagten Räume im W für das Mai-Event zu einem Preis von 30.000,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, also 35.700,00 (einschließlich Umsatzsteuer).
Dem Vertrag (im Folgenden: Mietvertrag 1) sind allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) beigefügt, die auf jeder Druckseite das Logo und die Geschäftsanschrift der Beklagten zu 1) aufweisen. Diese AGB enthalten die folgende Regelung, wobei die Beklagte zu 1) im Folgenden mit "R" abgekürzt wird:
§ 18 Höhere Gewalt
Kann die Veranstaltung auf Grund höherer Gewalt nicht stattfinden, so trägt jeder Vertragspartner seine bis dahin entstandenen Kosten selbst. Ist die R für den Kunden in Vorleistung getreten, die vertraglich zu erstatten wären, so ist der Kunde in jedem Fall zur Erstattung dieser Kosten verpflichtet. Der Ausfall einzelner Künstler oder das nicht rechtzeitige Eintreffen eines oder mehrerer Teilnehmer sowie schlechtes Wetter einschließlich Eis, Schnee und Sturm fällt in keinem Fall unter den Begriff "höhere Gewalt".
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Mietvertrag verwiesen (Anlage B 6).
Ebenfalls am 4./5. Februar 2020 beauftragte die Klägerin die Beklagte zu 2) mit näher bestimmten gastronomischen Dienstleistungen für das Mai-Event zu einem Preis von 70.000,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, also 83.300,00 EUR.
Dem Vertrag (im Folgenden: Bewirtungsvertrag) sind AGB beigefügt, die auf jeder Druckseite das Logo und die Geschäftsanschrift der Beklagten zu 2) aufweisen. Sie weichen von den AGB des Mietvertrags 1 ab und enthalten nicht den oben wiedergegebenen § 18. Die AGB des Bewirtungsvertrags enthalten die folgende Regelung, wobei die Beklagte zu 2) im Folgenden mit "S" abgekürzt wird:
§ 6 Pauschalierter Vergütungsanspruch
1. Kündigt der Kunde den Vertrag oder wird die Veranstaltung nicht durchgeführt, so kann S folgende pauschaliert...