Entscheidungsstichwort (Thema)
Günter-Grass-Briefe
Normenkette
UrhG § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.01.2007; Aktenzeichen 16 O 908/06) |
Tenor
1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des LG Berlin vom 23.1.2007 - 16 O 908/06 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz zu tragen.
Gründe
A. Von der Wiedergabe eines Tatbestands wird gem. § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
B. Die Berufung der Antragsgegnerin ist an sich statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte - dringende - Anspruch auf Unterlassung aus § 97 Abs. 1 UrhG zu. Mit Recht hat das LG eine widerrechtliche Verletzung des dem Antragsteller an den beiden Briefen zustehenden Urheberrechts durch die Antragsgegnerin angenommen.
I. Mit Recht - und auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen - bewertet das LG beide Briefe als urheberrechtsschutzfähige Schriftwerke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG. Es handelt sich um persönliche geistige Schöpfungen des Antragstellers.
II. Die Veröffentlichung der beiden Briefe verletzt den Antragsteller in seinem Recht aus § 12 Abs. 1 UrhG. Nach der genannten Vorschrift hat der Urheber das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Mit dem streitgegenständlichen Abdruck sind beide Briefe (erstmals) i.S.v. § 6 Abs. 1 UrhG "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht" worden. Damit ist - wie das LG im Einzelnen zutreffend dargelegt hat - in das dem Antragsteller zustehende Veröffentlichungsrecht eingegriffen worden. Auch das greift die Berufung - mit Recht - nicht an.
III. Entgegen der Auffassung der Berufung ist besagte Verletzung des Antragstellers in seinem Recht aus § 12 Abs. 1 UrhG widerrechtlich erfolgt. Weder liegt eine Zustimmung des Antragstellers vor (dazu sogleich B III 1), noch ist die Verletzung durch eine urheberrechtlich normierte Schranke (nachfolgend B III 2) noch von Verfassungs wegen (unten B III 3) gerechtfertigt.
1. Die in der "F.A." vom 29.9.2006 erfolgte Veröffentlichung ist ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgt. Eine ausdrückliche Zustimmung steht nicht in Rede. Auch für ein konkludente oder stillschweigende Zustimmung (dazu Katzenberger in: Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl., § 6 Rz. 25 m.w.N.) des Antragstellers zu einer Veröffentlichung in besagter Zeitung ist nichts ersichtlich.
2. Der Eingriff ist auch nicht durch eine der in §§ 44a ff. UrhG normierten Schranken gedeckt. Insbesondere auf das in § 51 UrhG geregelte Zitatrecht kann der Eingriff - worauf die Berufung selbst zutreffend hinweist - nicht gestützt werden, da Nr. 2 besagter Vorschrift ein veröffentlichtes und die beiden anderen Varianten sogar ein erschienenes Werk voraussetzen, sodass die Vorschrift dem Wortlaut nach schon aus diesem Grunde nicht greift.
Auch eine entsprechende Ausdehnung des aus § 51 UrhG folgenden Rechtsgedankens auf unveröffentlichte Werke als Zitierobjekte verbietet sich (und wird ebenfalls von der Berufung mit Recht nicht geltend gemacht). Zwar können gewisse Lücken des Zitatrechts durch ausdehnende Auslegung bzw. Analogie gefüllt werden, so etwa durch Erstreckung des Rechts zum Kleinzitat nach § 51 Nr. 2 UrhG auf das Zitat vollständiger Bilder (Senat UFITA 54 [1969] 296, 300 - Extradienst) oder durch Zulassung von Filmzitaten (BGHZ 99, 162, 165 - Filmzitat). Die Grundlinien des Zitatrechts wie insbesondere auch die im Interesse des Persönlichkeitsschutzes statuierte Beschränkung auf veröffentlichte bzw. erschienene Werke dürfen aber durch eine extensive Auslegung nicht überschritten werden (Schricker in: Schricker, a.a.O., § 51 Rz. 9; Dreier in: Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 51 Rz. 22), zumal diese Beschränkung der Zitierfreiheit auch den - abschließenden - Vorgaben des Konventionsrechts (Art. 10 Abs. 1 RBÜ) und des - zur Umsetzung akut anstehenden - Europäischen Rechts (Art. 2 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 3 lit. d der Richtlinie 2001/29/EG v. 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft; dazu auch Schack in FS für Schricker [2005], S. 511, 512) entspricht (zur Umsetzung s. § 51 UrhG in der am 1.1.2008 in Kraft tretenden Fassung, in: BGBl. I 2007, 2513, 2514, und dazu die Begründung in: Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, S. 53).
3. Der Eingriff in das Veröffentlichungsrecht des Antragstellers lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen rechtfertigen.
a) Die Berufung meint, der gesetzliche Schrankenkatalog sei gem. §§ 44a ff. UrhG mit Blick auf das auch hier betroffene Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht abschließend, sondern es habe in jedem Fall zusätzlich eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte stattzufinden, die vorliegend zu einem anderen Ergebnis (als einem zu...