Entscheidungsstichwort (Thema)
Kollision mit einem sorglos die Fahrbahn überquerenden Fußgänger
Normenkette
StVO § 35 Abs. 3; StVG § 9; BGB § 254
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 26.09.2001; Aktenzeichen 17 O 540/00) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 26.9.2001 verkündete Urteil des LG Berlin – 17 O 540/00 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist erfolglos. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG dem Kläger Schmerzensgeld und die begehrte Haftungsfeststellung versagt. Die Berufungsbegründung gibt keine Veranlassung, die Sache anders zu beurteilen.
A. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, § 543 Abs. 1 ZPO a.F. Zu ergänzen ist lediglich Folgendes:
1. Ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1) am Zustandekommen des Unfalls hat der Kläger weiterhin nicht dargelegt; es ergibt sich auch nicht aus unstreitigen Umständen.
a) Den erstinstanzlich erhobenen Vorwurf, der Beklagte zu 1) sei mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren, hat der Kläger nicht aufrechterhalten. Die jetzt behauptete Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h liegt um 10 km/h niedriger als die innerhalb geschlossener Ortschaften erlaubten 50 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO).
b) Allein aus dem Fahrstreifenwechsel nach links ist dem Beklagten zu 1) gleichfalls kein Vorwurf zu machen. Es handelt sich um ein normales, von der StVO ausdrücklich erlaubtes Fahrmanöver.
c) Dem Klägervortrag ist weiterhin nicht zu entnehmen, dass der Beklagte zu 1) Anlass und Möglichkeit hatte, unfallverhütend zu reagieren.
(1) Der Vorwurf unfallursächlichen Verschuldens gegen einen Unfallbeteiligten setzt voraus, dass er nach den konkreten Umständen zeitlich und örtlich unfallverhütend hätte handeln können und müssen. Dies bedeutet, dass der Unfall für den Betreffenden örtlich und/oder zeitlich vermeidbar gewesen sein muss, die Kollision bei dem gebotenen Brems- und/oder Ausweichmanöver also nicht stattgefunden hätte.
(2) Der Kläger hat jedoch zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Unfallhergangs, die Grundlage einer Vermeidbarkeitsbetrachtung sein könnten, nichts Hinreichendes vorgetragen.
Der Beklagte zu 1) musste an der späteren Unfallstelle nicht mit Fußgängern auf der Fahrbahn rechnen, denn dort befand sich weder eine Ampel noch ein Fußgängerüberweg. Dies hat das LG zutreffend ausgeführt. Zur Reaktion aufgefordert war er erstmals bei Wahrnehmbarkeit des Klägers und seines Begleiters M.-K.M. auf der Fahrbahn, also bei Erkennbarkeit ihrer in die Tat umgesetzten Überquerungsabsicht. In welcher Entfernung sich der Beklagte zu 1) in diesem Moment vom späteren Kollisionsort befunden haben soll, ergibt sich aus dem Klägervortrag nicht und ist auch sonst nicht feststellbar.
Erstinstanzlich hat der Beklagte in seiner persönlichen Anhörung angegeben, er habe das Beklagtenfahrzeug gesehen, als es ungefähr zwei Meter von ihm entfernt gewesen sei; er habe sich nur noch gedreht und seine Hände auf die Motorhaube gestützt (Bl. 37 d.A.). Dem Vorbringen der Beklagten, zwischen dem Betreten des Fahrbahnbereiches und dem Unfall habe lediglich ein Zeitraum von geschätzten ein bis zwei Sekunden gelegen (Bl. 19 d.A.), ist er nicht entgegengetreten. Nach diesem Vorbringen war die Kollision offensichtlich unvermeidbar für den Beklagten, denn unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde bestand für den Beklagten zu 1) in der allenfalls verbleibenden weiteren Sekunde erkennbar weder eine Möglichkeit, den Fiat aus 40 km/h anzuhalten noch ein erfolgversprechendes Ausweichmanöver einzuleiten.
Nach dem zweitinstanzlichen Vortrag sollen der Kläger und sein Begleiter zwei bis drei Sekunden für die Überquerung des ersten Fahrstreifens und weitere eineinhalb bis zwei Sekunden für die Überquerung des zweiten Fahrstreifens bis zur Kollision benötigt haben, insgesamt also maximal fünf Sekunden. Auch dieser geänderte Sachvortrag bietet keine Grundlage für eine Vermeidbarkeitsbetrachtung.
Es ist schon ungewiss, wann der Kläger für den Beklagten zu 1) überhaupt bei der unstreitig herrschenden Dunkelheit wahrnehmbar war. Welche Bekleidung er selbst trug, hat der Kläger nicht mitgeteilt; die Feststellungen der unfallaufnehmenden Polizeibeamten, er sei dunkel gekleidet gewesen (Bl. 4 der BA), hat er zwar bestritten, ohne eigene Angaben zu seiner Bekleidung zu machen. Soweit er jetzt erstmals mitteilt, sein Begleiter M. habe eine himmelblaue Windjacke mit gelben Schulterteilen und gelben Längsstreifen getragen, besagt dies nichts über die Wahrnehmbarkeit aus Sicht des Beklagten zu 1); ausweislich der polizeilichen Unfallskizze hat der Kläger die Fahrbahn rechts neben seinem Begleiter überquert, befand sich also aus Perspektive des Beklagten zu 1) vor diesem und hat ihn möglicherweise verdeckt. Da mithin der Moment der ersten Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 1) nicht feststeht, fehlt ein Ausgangswert für Berechnungen zur zeitlichen und örtlichen Vermeidbarkeit d...