Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung bei Kollision von Linksabbieger und entgegenkommendem Rechtsabbieger an ampelgeregelter Kreuzung
2. Zu den Voraussetzungen der Eigenschaft als Kreuzungsräumer und zur Sach- und Rechtslage im Kreuzungsräumerfall sowie dem (nicht existenten) "Vorrang" des Kreuzungsräumers
Normenkette
StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 4 S. 1, § 11 Abs. 3, § 37 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 244/15) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das am 10. November 2016 verkündete Urteil der Zivilkammer 41 des Landgerichts Berlin - 41 O 244/15 - teilweise geändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 8.258,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2015 sowie weitere 808,13 EUR zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von der Darstellung des Sachverhaltes wird mit Ausnahme des nachfolgenden kurzen Abrisses gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Der Kläger bog an einer ampelgeregelten Kreuzung links ab. Die ihm entgegenkommende Beklagte zu 1. bog rechts ab. Es kam zur Kollision, wobei das Fahrzeug der Beklagten zu 1. an der Front und das Fahrzeug des Klägers hinten rechts beschädigt wurden.
Der Kläger hat das in erster Instanz noch in Höhe von 1.000 EUR geltend gemachte Schmerzensgeld in zweiter Instanz auf 250 EUR beschränkt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Prozess umgekehrten Rubrums ist eine hälftige Quote ausgeurteilt worden. Der Senat gelangt nunmehr zur Alleinhaftung der Beklagten.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist im Wesentlichen begründet.
Dem Kläger stehen gegen die Beklagten als Fahrzeugführer sowie Haftpflichtversicherer die geltend gemachten Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB; §§ 7, 11, 17 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB wegen des Verkehrsunfalls vom 30. April 2015 gegen 15.00 Uhr auf der Kreuzung Alexander-/ Holzmarkt-/ Stralauer Straße in Höhe von 8.008,70 EUR (statt 8.068,70 EUR) bzw. 250 EUR zu, weil die Beklagte zu 1. als dem linksabbiegenden Kläger entgegenkommende Rechtsabbiegerin den Unfall allein verschuldete und die Beklagten daher im Ergebnis der Abwägung der Mitverursachungsanteile und des Mitverschuldens der Beklagten zu 1. den Schaden des Klägers in voller Höhe allein zu tragen haben (§ 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG; §§ 254 BGB, 9 StVG).
1. Jede Partei hat die die Mitverursachung sowie das (Mit-) Verschulden des Unfallgegners begründenden Tatsachen vorzutragen und ggfs. auf Bestreiten zu beweisen, weil nur unstreitige, zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu Grunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12 - NJW 2014, 217, 218 [7] und [9]; Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast bei Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen, NZV 2018, 447 [1. und 2.]). Das bedeutet für den hier zu entscheidenden Unfall die nunmehr dritte, dieses Mal aber immerhin zutreffende Variante.
2. Ein in die Abwägung einzustellendes (Mit-) Verschulden des Klägers ist nicht festzustellen, denn den Beklagten ist der Beweis, dieser habe seine Pflichten als Linksabbieger verletzt und sei (noch/schon) bei für ihn als Linksabbieger geltendem Rot unter Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7, Nr. 4 S. 1 StVO und nicht erst bei Grün in die Kreuzung eingefahren oder habe sich unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO seinen Vorrang erzwingen wollen, nicht gelungen.
a) Anders als das Landgericht gemeint hat, vermögen sich die Beklagten nicht auf eine (angebliche) Verletzung der dem Kläger nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten und deshalb auch nicht auf einen damit in Zusammenhang stehenden Anscheinsbeweis zu berufen.
(1) Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass zugunsten des (Geradeausfahrenden bzw.) Rechtsabbiegers der Anscheinsbeweis gegen den entgegenkommenden Linksabbieger streitet, dieser habe seine ihm nach § 9 (Abs. 3,) Abs. 4 S. 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt. Das setzt jedoch eine typische Sachlage voraus, an der es vorliegend fehlte, denn zum einen scheitert an der betreffenden Kreuzung der rechtliche Anknüpfungspunkt über § 9 Abs. 4 S. 1 StVO, weil die Regelung durch Lichtzeichen vorgeht (§ 37 Abs. 1 S. 1 StVO) und hier für Linksabbieger abschließend ist, zum anderen fehlte es mit Rücksicht auf die gesonderte Lichtzeichenregelung für Linksabbieger aber auch an einem typischen Geschehen (zur vergleichbaren Sachlage bei Vorhandensein eines grünen Räumpfeils BGH, Urteil vom 13. Februar 1996 - VI ZR 126/95 - NJW 1996, 1405, 1406 = NZV 1996, 231, 232 [II.1.d)aa)]; BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 - VI ZR 150/96 - NZV 1997, 350 [II.1.b)]; BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 - VI ZR 58/06 - NZV 2007, 294, 294 f. [9]; KG, [Hinweis-] Beschluss vom 21. Januar 2016 - 22 U 106/15 - [nicht veröffentlicht]; Kuhnke, Darlegungs- und Beweislast ...