Rz. 3
Eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 1 setzt voraus, dass der andere Vertragsteil in solchem Maße seine Verpflichtungen verletzt, dass dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil v. 15.9.2010, XII ZR 188/08, ZMR 2011, 29; BGH, Urteil v. 26.4.2002, LwZR 20/01, NJW 2002, 2168; HansOLG, Urteil v. 1.6.2023, 4 U 10/22, GE 2024, 397; AG Brandenburg, Urteil v. 5.11.2021, 31 C 32/21, ZMR 2022, 220). Ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung i. S. v. § 543 Abs. 1 Satz 2 vorliegt, entzieht sich im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Geschehensabläufe und der auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Belange einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung. Vielmehr bedarf es insoweit stets einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BGH, Beschluss v. 8.8.2023, VIII ZR 234/22, BeckRS 2023, 28598).
Bei der Prüfung der außerordentlichen Kündigung ist an die Feststellung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses ein strenger Maßstab anzulegen.
Zerrüttung des Mietverhältnisses
Im Wohnraummietrecht reicht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses im Sinne einer Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass diese zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist, grundsätzlich nicht aus, um einer Mietvertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen (BGH, Urteil v. 29.11. 2023, VIII ZR 211/22, GE 2024, 237).
Bei der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen ist z. B. zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis seit Jahrzehnten besteht oder bei dem Mieter seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung mit der Folge besteht, dass er im Fall einer Räumung mit einer affektiven Dekompensation mit Agitiertheit, Ängstlichkeit und der Zunahme bereits bestehender psychosomatischer Beschwerden reagiert und sich eine depressive Affektstörung manifestiert, was eine Suizidgefahr einschließt (LG Krefeld, Urteil v. 1.3.2023, 2 S 27/22, WuM 2023, 341).
Verschulden des anderen Vertragsteils ist nicht mehr erforderlich, aber eine regelmäßig schuldhaft verursachte Vertragsstörung (Schmidt-Futterer/Streyl, § 543 Rn. 16). Daran hat auch die Einfügung des Merkmals "unter Berücksichtigung, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien" nichts geändert. Nach dem Gesetzeswortlaut handelt es sich dabei um ein Abwägungskriterium, nicht aber um eine unabdingbare tatbestandliche Voraussetzung für einen wichtigen Grund (Kraemer, NZM 2001, 553 [559]). Ferner ist das Verschulden an der Vertragsstörung bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.
Grundsätzlich ist eine vorherige Abmahnung erforderlich, bis auf die Fälle des § 543 Abs. 3 Satz 2. Das gilt sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.
Das für die Durchführung des Mietverhältnisses notwendige Vertrauen muss nachhaltig gestört sein. Die Unzumutbarkeit kann sowohl in der Gefahr der Wiederholung bestehen als auch das persönliche Verhältnis der Vertragspartner betreffen. Nur bei ganz enger personaler Beziehung von Vermieter und Mieter (wie etwa bei der Untervermietung eines Zimmers in der selbst bewohnten Wohnung) können subjektive Befindlichkeiten eine Rolle spielen (Schmidt-Futterer/Streyl, § 543 Rn. 8).
Weiterhin müssen die Grundrechte der Beteiligten berücksichtigt werden, insbes. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Schmidt-Futterer/Streyl, § 543 Rn. 7). Eine außerordentliche Kündigung trotz einer erheblichen Pflichtverletzung scheidet daher aus, wenn eine ernsthafte Verschlechterung des Gesundheitszustands einer 97-jährigen, bettlägerigen Mieterin infolge eines erzwungenen Wechsels der bisherigen häuslichen Umgebung und Pflegesituation zu besorgen ist (BGH, Urteil v. 9.11.2016, VIII ZR 73/16, NZM 2017, 26).
Die Interessenabwägung des § 543 Abs. 1 Satz 2 muss sich an dem gesetzlichen Leitbild des Mietrechts ausrichten. In einem Gewerberaummietverhältnis rechtfertigt die Erkrankung des Mieters nicht dessen fristlose Kündigung (OLG Rostock, Urteil v. 9.7.2020, 3 U 78/19, GE 2020, 1116).
Für eine fristlose Kündigung wegen Pflichtverletzung des Mieters ist im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 auch ein eigenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters zu berücksichtigen (KG, Urteil v. 4.12.2017, 8 U 236/16, ZMR 2018, 303). Hat daher der Vermieter ein gänzlich gestörtes Verhältnis zum Mieter und kommt es ihm erkennbar darauf an, dem Mieter "seine" Hausordnung und die von ihm als richtig empfundenen Verhaltensweisen aufzudrängen, ist dies bei der Würdigung eines angeblich aggressiven Verhaltens d...