Entscheidungsstichwort (Thema)

Doppelter Auffangstreitwert nur bei komplexen Sachverhalten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Empfehlung II.14.6 des Streitwertkatalogs in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 gilt nur für Verfahren gemäß § 101 BetrVG, in denen es um die Rückgängigmachung einer vorläufigen oder endgültigen, ohne vorherige Einschaltung des Betriebsrats bereits durchgeführten personellen Maßnahme geht, nicht jedoch für einen Antrag des Betriebsrats gemäß § 101 BetrVG analog auf Durchführung eines Einleitungserzwingungsverfahrens bezüglich der Eingruppierung eines Mitarbeiters.

2. Die Gegenstandswerte für einen Antrag des Betriebsrats auf Durchführung eines Einleitungserzwingungsverfahrens bezüglich der Eingruppierung eines Mitarbeiters und der Hilfswiderantrag des Arbeitgebers auf Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung dieses Mitarbeiters in eine bestimmte Vergütungsgruppe eines Tarifvertrags sind nicht zu addieren, weil sie gebührenrechtlich denselben Gegenstand im Sinne des § 2 Abs. 1 RVG betreffen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Annahme eines doppelten Wertes nach § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 RVG kommt nur bei komplexen, überdurchschnittlich anspruchsvollen Sachverhalten in Betracht.

 

Normenkette

RVG § 33; BetrVG § 101 analog; RVG § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 06.03.2019; Aktenzeichen 2 BV 5/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 06.03.2019 - 2 BV 5/18 - dahingehend abgeändert, dass der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwaltskanzlei B. und Kollegen von 5.000,00 € auf 10.000,00 € heraufgesetzt wird.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde betrifft die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.

Im Ausgangsverfahren begehrte der zu 1 beteiligte, bei dem zu 2 beteiligten Arbeitgeber eingerichtete Betriebsrat, jenem aufzugeben, seine Zustimmung zur Eingruppierung einer namentlich benannten Arbeitnehmerin einzuholen und im Falle der Verweigerung der Zustimmung das Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht einzuleiten und durchzuführen. Der Arbeitgeber beantragte, den Antrag zurückzuweisen, hilfsweise die Zustimmung des Betriebsrats zur Überleitung in die Entgeltgruppe 9b des TVöD zum 01.01.2017 zu ersetzen. Den Hilfsantrag nahm er wieder zurück.

Das Arbeitsgericht entsprach dem Begehren des Betriebsrats in der Hauptsache und setzte den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats auf 5.000,00 € fest. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats begehren mit der Beschwerde zuletzt noch eine Anhebung auf 10.000,00 €.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats zu gering bemessen. Dieser ist, wie von der Beschwerde begehrt, von 5.000,00 € auf 10.000,00 € anzuheben.

1. Prüfungsmaßstab

a) Die bewertungsrelevanten Anträge des Betriebsrats (Einleitungserzwingung bezüglich der Eingruppierung der Mitarbeiterin F.) sowie der Hilfsantrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Überleitung der Mitarbeiterin F. in die Entgeltgruppe 9b des TVöD zum 01.01.2017 sind - unumstritten und deshalb keiner vertieften Erörterung bedürftig - jeweils nichtvermögensrechtlicher Natur.

b) Jeder einzelne Antrag ist unter Zugrundelegung des sich aus § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ergebenden Maßstabs einer separaten Bewertung zu unterziehen. Dabei sind insbesondere der maßgeblich durch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache bestimmte Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber zu berücksichtigen und sind sonstige im Einzelfall wertbildende Umstände ins Auge zu fassen. Ausgehend vom Anknüpfungswert von 5.000,00 € ist zu prüfen, ob die im konkreten Fall gegebenen wertbestimmenden Faktoren eine Erhöhung oder Reduzierung dieses Wertes gebieten (ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, vgl. 29. Januar 2016 - 5 Ta 155/15 - juris).

c) Nach der Einzelbewertung ist zu entscheiden, ob diese mehreren Werte ganz oder teilweise zusammenzurechnen sind oder nicht. Diese Frage beantwortet sich nicht aus § 22 Abs. 1 RVG, denn diese Bestimmung sagt nichts darüber, ob eine Zusammenrechnung zum Zwecke der Erhöhung des Gegenstandswerts vorzunehmen ist. Heranzuziehen sind vielmehr die in den für die Bemessung der Gerichtsgebühren niedergelegten allgemeinen Rechtsgrundsätze (ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, vgl. 24. Juni 2013 - 5 Ta 53/13 - juris Rn 7 mwN).

2. Einzelbewertung

a) Der Hilfsantrag des Arbeitgebers gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG auf Ersetzung der Zustimmu...

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