Entscheidungsstichwort (Thema)
Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes bei unterschiedlicher Höhe von Nachtarbeitszuschlägen. Zulässigkeit differenzierter Höhe von Nachtarbeitszuschlägen für ständige Nachtarbeit und Schichtarbeit. Recht der Tarifvertragsparteien zur unterschiedlichen Gestaltung von Nachtarbeitszuschlägen, hier im MTV der obst- und gemüsenverarbeitenden Industrie BW. Mittelbare Bindung der Tarifvertragsparteien an Grundrechte
Leitsatz (amtlich)
1. Die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrags für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs. 1 GG).
2. Die Tarifparteien können Nachtarbeitszuschläge im Rahmen der Tarifautonomie grundsätzlich auch deshalb unterschiedlich gestalten, um die präventive Wirkung der Nachtarbeitszuschläge gezielt und effektiv einzusetzen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; ArbZG § 6 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 14.05.2020; Aktenzeichen 10 Ca 23/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 14. Mai 2020 (10 Ca 23/20) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm restliche Zuschläge für Nachtarbeit in den Monaten April bis Juni 2019 in Höhe von insgesamt 701,49 Euro brutto zu zahlen.
Zwischen den Parteien bestand im genannten Zeitraum ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger arbeitete in Wechselschicht (im Wechsel in der Früh-, Spät- und Nachtschicht). Die Beklagte rechnete folgende vom Kläger in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden ab und zahlte für diese einen Zuschlag für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr in Höhe von 25 %.
- April 2019: 48,99 Stunden - gezahlte Zuschläge: 215,43 Euro brutto
- Mai 2019: 58,18 Stunden - 255,85 Euro brutto
- Juni 2019: 52,35 Stunden - 230,21 Euro brutto.
Der Monatslohn des Klägers betrug 2.752,00 Euro brutto, sein Stundenlohn 17,59 Euro brutto.
Die Differenzforderungen des Klägers beruhen darauf, dass er der Ansicht ist, ihm stehe für diese abgerechneten Arbeitsstunden der Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % zu.
Die Parteien sind tarifgebunden. Es gilt der Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Baden-Württemberg vom 09. November 2004 (MTV - im Einzelnen s. Anlage zur Klagschrift, Prozessakte des Arbeitsgerichts, Bl. 22 ff.). Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:
"§ 4 Alters- und Schichtfreizeit
...
2. Schichtfreizeit
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.
§ 5 Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Begriffsbestimmung
...
c) Nachtarbeit
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.
...
2. Zuschläge
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Für Mehrarbeit |
25 % |
ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tag |
30 % |
b) für Nachtarbeit |
50 % |
c) für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr |
25 % |
...
3. Berechnung der Zuschläge
...
b) beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.
Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch beim Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.
..."
Der Kläger machte die höheren Zuschläge für Nachtarbeit mit Schreiben seiner Gewerkschaft, der NGG, vom 02. August 2019 geltend. Es heißt in dem Schreiben:
"Im Zeitraum vom 01.05.2019 bis zum 30.06.2019 hat unser Mitglied Nachtarbeit geleistet. Wir machen hiermit die Differenz zwischen den abgerechneten und den auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung zustehenden Zuschlägen geltend. Die Höhe der Forderung entnehmen Sie den beigefügten Berechnungsanlagen."
In den beigefügten Berechnungsanlagen (Anlage zur Klagschrift, Prozessakte des Arbeitsgerichts, Bl. 13 ff.) war auch der Abrechnungszeitraum April 2019 angeführt.
Die Beklagte lehnte die Zahlung höherer Zuschläge mit Schreiben vom 16. August 2019 ab. Die Klage ging beim Arbeitsgericht am 23. Januar 2020 ein und wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 13. Februar 2020 zugestellt.
Der Kläger hat vorgetragen,
der geltend gemachte Anspruch auf den höheren Zuschlag für Nachtarbeit ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Manteltarifvertrag. Der Ausschluss der Schichtarbeit aus der Nachtarbeit in § 5 Nr. 1 c MTV verstoße jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und sei deshalb unwirksam. Es gebe keinen sachlich vertretbaren Grund, bei der Zuschlagsregelung zwischen Nachtarbeit in und außerhalb der Wechselschicht zu unterscheiden. Zur Durchsetzung des Gleichheitssatzes sei der niedrigere Zuschlag für Schichtarbeit in der Nacht nach oben dem höheren Zuschlag für Nachtarbeit anzupassen. Das habe das Bundesarbeitsgericht bei einer ents...