Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Gemeinschaftsbetrieb. Betriebsstilllegung. Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Gemeinschaftsbetrieb mehrerer rechtlich selbstständiger Unternehmen ist durch die übergreifende einheitliche Ausübung der wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten gekennzeichnet, die auf einer zumindest stillschweigenden Führungsvereinbarung fußt.
2. Mit der Stilllegung eines Betriebes wird auch die gemeinsame Leitungsstruktur beseitigt, so dass ab dem Stilllegungszeitpunkt nur noch ein Betrieb fortbesteht, in dessen Führung durch den Unternehmer, dessen Betrieb stillgelegt worden ist, nicht mehr eingegriffen werden kann.
3. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 17 KSchG in dem Sinne, dass mit der Entlassung bereits der Kündigungsausspruch gemeint sein soll, so dass die Massenentlassungsanzeige vor Kündigungsausspruch zu erfolgen hätte, hält die Kammer für nicht möglich.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, §§ 17-18
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 29.04.2005; Aktenzeichen 2 Ca 506/04) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 29.04.2005 – 2 Ca 506/04 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten Ziff. 1 in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 13.10.2004 zum 31.01.2005 ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung und einem daraus ggf. folgenden Weiterbeschäftigungsanspruch; hilfsweise, für den Fall des Unterliegens gegenüber dem Beklagten Ziff. 1, beansprucht der Kläger von der Beklagten Ziff. 2 seine Beschäftigung.
Am 01.10.2004 wurde über das Vermögen der seinerzeitigen Arbeitgeberin des Klägers, der U. G. GmbH (in Folge nur: Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte Ziff. 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Insolvenzschuldnerin gehörte ebenso wie die Beklagte Ziff. 2 zur Firmengruppe U., die u. a. in 7…. Z., 7…. B. und 7…. S. Produktionsstandorte unterhielt, wo Teile für die Automobilindustrie hergestellt wurden. Zeitgleich, also ebenfalls am 01.10.2004, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers wurden Insolvenzverfahren betreffend die U. AG sowie die U. S. GmbH eröffnet.
Der am 15.03.1965 geborene Kläger gehörte als gewerblicher Arbeitnehmer seit 1994 zur U. Firmengruppe. Überwiegend wurde der Kläger am Produktionsstandort Z. beschäftigt, insoweit etwa bei der U. & T. GmbH, von welcher er mit Wirkung zum 01.09.2001 zur U. AG wechselte (vgl. schriftlichen Vertrag vom 28.09.2001, Vor.A. Bl. 12). Mit Wirkung zum 01.12.2003 wurde ein Arbeitsverhältnis zur Insolvenzschuldnerin begründet (vgl. den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 17.11./11.12.2003, Vor.A. Bl. 4 – 6). Der Kläger arbeitete sodann im Betrieb der Insolvenzschuldnerin in G..
Die Insolvenzschuldnerin erhielt, ebenso wie die übrigen Gesellschaften der U. Firmengruppe, überwiegend – zu 95 % – ihre Aufträge von der Muttergesellschaft, der U. AG. Bereits im Sommer 2004 war beschlossen worden, dem unrentablen Betrieb der Insolvenzschuldnerin keine Aufträge mehr zu erteilen. Neuaufträge sollten auf andere Produktionsstandorte verlagert werden. Auf dem Hintergrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch über das Vermögen der U. AG wurden die der Insolvenzschuldnerin verbliebenen restlichen Produktionsaufträge gekündigt.
Am 13.10.2004 kündigte der Beklagte Ziff. 1 sämtliche – 49 – Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer ohne besonderen Kündigungsschutz und leitete im Übrigen die zum Kündigungsausspruch erforderlichen Maßnahmen ein. Nach Kündigungsausspruch erfolgte die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG.
Der Kläger hat beim Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht und insbesondere bestritten, dass für den Kläger über den 31.01.2005 hinaus keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden habe. Desweiteren hat er die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus einer mangelhaften, weil erst nach Kündigungsausspruch erfolgten Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG hergeleitet. Auf eine etwaige Stillegung des Bebtriebes der Insolvenzschuldnerin könne sich der Beklagte Ziff. 1 nicht berufen, denn trotz der rechtlichen Selbständigkeit der Unternehmen der U. Firmengruppe hätten diese einen gemeinsamen Betrieb unterhalten. Bezüglich der Beklagten Ziff. 2 hat der Kläger die Auffassung vertreten, diese sei als ehemalige Arbeitgeberin ggf. aufgrund ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, den Kläger ab dem 01.02.2005 zu beschäftigen. Die Beklagte Ziff. 2 habe den Kläger seinerzeit veranlasst, zur Insolvenzschuldnerin zu wechseln.
Der Beklagte Ziff. 1 hat bereits beim Arbeitsgericht vorgetragen, wegen der unumgänglichen und dementsprechend beschlossenen Betriebsstillegung spätestens zum 31.01.2005 das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhä...