Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigungsanspruch. Widerspruch des Betriebsrats. Einstweilige Verfügung
Leitsatz (redaktionell)
Der den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch auslösende, auf § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG gestützte Widerspruch muss regelmäßig angeben, welche Arbeitnehmer vom Betriebsrat als weniger sozial schutzwürdig angesehen werden. Die hieran zu stellenden Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. So ist es in kleinen überschaubaren Abteilungen ausreichend, wenn die vom Betriebsrat als weniger schutzwürdig angesehenen Arbeitnehmer für den Arbeitgeber unschwer identifizierbar sind.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 3, 5
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 11.08.2004; Aktenzeichen 8 Ga 6/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kn. Aalen – vom11. August 2004 – Az.: 8 Ga 6/04 – abgeändert:
Die Berufungsbeklagte/Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Berufungskläger/Verfügungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Arbeitsgericht Stuttgart – Kn. Aalen – Az.: 8 Ca 753/03 – anhängigen Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Optikentwickler weiterzubeschäftigen.
2. Die Berufungsbeklagte/Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung des vom Kläger erhobenen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs.
Der am 12. Juli 1954 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Verfügungskläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 16. September 1986 mit Wirkung vom 01. Januar 1987 in die Dienste der Verfügungsbeklagten getreten. Er ist ursprünglich eingestellt worden als Entwurfs- und Berechnungsingenieur. Seit dem 01. April 1996 wird er als Optikentwickler eingesetzt. Einen entsprechenden Vertrag haben die Parteien unter dem Datum des 27. März 1996 unterzeichnet. Mit Wirkung vom 01. März 2001 ist der Kläger in der Abteilung Entwicklung Fotoobjektive PH-E in der Arbeitsgruppe Optik Design eingesetzt gewesen. Dieser Bereich ist seit dem 01. September 2002 als eigenständige Abteilung mit der Bezeichnung PH-OD eingerichtet.
Die Verfügungsbeklagte hat mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat am 02. Juni 2003 einen Interessenausgleich abgeschlossen. Unter § 5.4 war bestimmt, dass Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen aus den von der Änderung oder der Einschränkung betroffenen Abteilungen bevorzugt in andere Betriebsteile vermittelt werden. Darüber hinaus werden den betroffenen Mitarbeiter/innen auch ggf. freie Stelle anderer Standorte der C. angeboten.
Der Betriebsrat ist mit dem am 25. September 2003 ihm zugegangenen Schreiben zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört worden. Er hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2003 Widerspruch eingelegt, wobei die Betriebsparteien sich darüber einig sind, dass dieser Widerspruch nicht verfristet ist. Der Widerspruch hatte nachfolgenden Wortlaut:
„Sehr geehrter Herr von P.,
der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 10.10.2003 über die beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses beraten und folgendes beschlossen: Der Betriebsrat erhebt aus folgenden Gründen Widerspruch gegen die Kündigung von Herrn S. :
1. gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG
Begründung:
Eine Sozialauswahl wurde vom Arbeitgeber nicht durchgeführt. Ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren hat somit nicht stattgefunden.
Recherchen des Betriebsrates haben ergeben, dass es eine Vielzahl von Tätigkeiten im Betrieb gibt, die mit denen von Herrn S. vergleichbar sind. Der Betriebsrat hat zum Beispiel in folgenden Abteilungen Stellen mit vergleichbaren Tätigkeiten ermittelt: PH-OD (Herr S. arbeitet selbst dort), PH-MD, PH-LA und FT-OD.
In den vorher genannten Abteilungen gibt es Arbeitnehmer/innen, die eine Kündigung sozial nicht so hart treffen würde, die wesentlich jünger sind und eine wesentlich kürzere Betriebszugehörigkeit als Herr S. haben. Darunter gibt es nur eine Person, die ein Kind hat. Herr S. hat drei Kinder!
2. gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 BetrVG
Begründung:
Herr S. hat sich auf die ausgeschriebene Stelle „Entwicklungs-/Fertigungsprojektleiter” (Geschäftsfeld Sensorik/GSI/4020) in der CZ Tochterfirma Z. beworben, für die er durch seine Ausbildung, lange Erfahrung und Fortbildungen sehr geeignet ist. Er kann die Stelle sofort besetzen und innerhalb einer angemessenen Einarbeitungszeit ausführen.
Ein Vermittlungsversuch der Arbeitgeberseite hat gemäß Interessenausgleich § 5.4 nicht stattgefunden.
Der Betriebsrat erhebt außerdem starke Bedenken gegen eine evtl. Kündigung. Herr S. ist Alleinverdiener einer Familie mit 3 Kindern. Außerdem ist er extern als fast 50jähriger schwer vermittelbar.”
In der Abteilung PH-OD, in welcher die Konstruktion von Linsen als Tätigkeit anfällt, sind insgesamt fünf Arbeitsplätze vorhanden. Neben dem Abteilungsleiter und einem Arbeitnehmer, der seinen tatsächlichen Arbeitsplatz in...