Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Arbeitnehmers auf Nachtarbeitszuschläge im Geltungsbereich des Zusatz-Tarifvertrags für die Erfrischungsgetränkeindustrie in Baden-Württemberg
Leitsatz (amtlich)
1. Die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge des Zusatz-Tarifvertrags für die Erfrischungsgetränkeindustrie in Baden-Württemberg verstoßen im Wesentlichen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs. 1 GG).
2. Die Tarifparteien können Nachtarbeitszuschläge im Rahmen der Tarifautonomie grundsätzlich auch deshalb unterschiedlich gestalten, um die präventive Wirkung der Nachtarbeitszuschläge gezielt und effektiv einzusetzen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tarifparteien sind, da nicht Teil der staatlichen Gewalt, nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Der Abschluss von Tarifverträgen und die damit verbundene Normsetzung sind Ergebnisse kollektiv ausgeübter Privatautonomie. Die Tarifvertragsparteien regeln auf dieser Grundlage in Ausübung der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Tarifautonomie, mit welchen tarifpolitischen Forderungen sie für ihre Mitglieder tarifvertragliche Regelungen mit welchen Tarifvertragspartnern setzen wollen und letztendlich vereinbaren.
2. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen.
3. Die Tarifvertragsparteien können unterschiedliche Zuschläge für Nachtschichtarbeit und - gelegentliche - Arbeit zur Nachtzeit vereinbaren. Verfolgen sie einen bestimmten Zweck mit der unterschiedlichen Zuschlagshöhe, ist dies bei Angemessenheit und Begründetheit der Differenzierung rechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; ZTV Erfrischungsgetränkeindustrie Baden-Württemberg
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 29.01.2020; Aktenzeichen 2 Ca 119/19) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 29. Januar 2020 (2 Ca 119/19) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger fordert von der Beklagten, ihm für den Zeitraum November 2018 bis Juni 2019 restliche Zuschläge für Nachtarbeit in Höhe von insgesamt 1.814,46 Euro brutto zu zahlen.
Zwischen den Parteien bestand im genannten Zeitraum ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger arbeitete für die Beklagte wie folgt in Wechselschicht:
- Frühschicht (5 Tage): 06:00 Uhr bis 14:00 Uhr - Samstag/Sonntag frei
- Nachtschicht (5 Tage): 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr - Samstag/Sonntag frei
- Spätschicht (5 Tage): 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr - Samstag/Sonntag frei.
Der Monatslohn des Klägers betrug bis 31. Dezember 2018 2.996,- Euro brutto, ab 01. Januar 2019 3.116,- Euro brutto, der Stundenlohn bis 31. Dezember 2018 18,16 Euro brutto, ab 01. Januar 2019 18,88 Euro brutto. Wegen der Anzahl der Arbeitsstunden, die der Kläger im Zeitraum November 2018 bis Juni 2019 zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr leistete, wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 12. Dezember 2019, S. 2 Bezug genommen. Die Beklagte zahlt dem Kläger für die Arbeitsstunde einen Zuschlag für Schichtarbeit in der Nachtzeit in Höhe von 25 %. Die Differenzforderungen des Klägers resultieren daraus, dass er der Ansicht ist, ihm stehe für die Arbeitsstunde der Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % zu.
Die Parteien sind tarifgebunden. Die Beklagte ist allerdings sog. OT-Mitglied des Arbeitgeberverbands. Die C. AG hat jedoch die Unternehmenstarifverträge "Geltung von Manteltarifverträgen" und "Arbeitszeit" abgeschlossen. Aus der AG ist durch Rechtsformwechsel die Beklagte entstanden. Sie hat später ihren Handelsnamen geändert. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Über den Unternehmenstarifvertrag "Geltung von Manteltarifverträgen" vom 27. März 2015 gelten
- der Rahmen-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Ernährungsindustrie in Baden-Württemberg vom 31. März 2000 (RMTV)
- der Zusatz-Tarifvertrag für die Erfrischungsgetränkeindustrie in Baden-Württemberg vom 26. April 1989 (ZTV)
(§ 2 Abs. 3 neunter und zehnter Spiegelstrich des Unternehmenstarifvertrags).
Die Tarifparteien haben am 26. April 1989 einen Ergänzungsvertrag zum Zusatz-Tarifvertrag abgeschlossen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich zudem nach dem Unternehmenstarifvertrag "Arbeitszeit".
Der Zusatz-Tarifvertrag für die Erfrischungsgetränkeindustrie in Baden-Württemberg enthält u.a. folgende Regelungen:
"§ 3 Mehr-, Nacht-, Sonn-, Feiertags- und Schichtarbeit
I. Begriffsbestimmungen
1. Mehrarbeit
...
c) Mehrarbeit, insbesondere als Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, ist nach Möglichkeit zu v...