Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages über Wirtschaftszweige. Anspruch eines Druckers auf tarifliche Nachtzuschläge bei der Etikettenherstellung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Wird der fachliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages über Wirtschaftszweige bestimmt, so kann auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts zurückgegriffen werden.

2) Die Herstellung von Etiketten unterfällt dem fachlichen Geltungsbereich des § 1 Nr. 2 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und nicht dem fachlichen Geltungsbereich des § 1 Nr. 2 Buchstabe b) des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie in der Bundesrepublik Deutschland (Parallelentscheidung zu 4 Sa 57/12).

 

Normenkette

BGB §§ 133, 611 Abs. 1; TVG § 1 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1, 5; MTV Papier § 1 Nr. 2 Abs. 2, § 4 Nr. 1 Buchst. b; MTV Druck § 1 Nr. 2 Buchst. b; MTV Druck § 8 Nr. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 19.04.2012; Aktenzeichen 9 Ca 291/11)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen vom 19.04.2012 (9 Ca 291/11) abgeändert.

    Die Klage wird abgewiesen.

  • 2.

    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • 3.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten nur noch über die Zahlung von Nachtzuschlägen und hierbei über die Frage, ob diese Nachtzuschläge nach den Regelungen des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie in der Bundesrepublik Deutschland (MTV Druck) zu berechnen sind oder nach den Regelungen des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie (MTV Papier).

Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt seit 02.11.2001 als Drucker. Er ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 30.10.2001 (Bl. 158 der erstinstanzlichen Akte). Darin heißt es ua.:

"Sonderzuwendungen: Urlaubsgeld, Jahresleistung, vermögenswirksame Leistung, werden angelehnt an den MTV der Druckindustrie/Anerkennungstarifvertrag.

..."

Die Beklagte war früher im Akzidenzdruck tätig. Nunmehr stellt die Beklagte Etiketten für den Food- und Nonfood-Bereich her, sowie Spielkarten. Dreiviertel der Produktion entfällt auf die Etikettenherstellung. Die Beklagte beschäftigt 162 gewerbliche Arbeitnehmer, davon 14 in der Druckvorstufe, 38 im Druck, 103 in der Weiterverarbeitung und 8 im Lager und im Versand. In der Verwaltung beschäftigt sie 35 Arbeitnehmer. Die Beklagte verfügt über 5 Druckmaschinen, 5 Rüttelmaschinen, 7 Schneidemaschinen, 5 Stanzanlagen, eine Bündelmaschine und 3 Spielkartenmaschinen. Die Etiketten werden in der Weise produziert, dass zuerst Druckbögen mit mehreren Nutzen hergestellt, diese dann gerüttelt und geschnitten, anschließend gestanzt und schließlich gebündelt und geschrumpft werden. Beim Stanzen beträgt die Toleranz 0,2 mm. Die Etiketten müssen durch Schrumpfen vollkommen plan gemacht werden, damit sie von schnelllaufenden Maschinen störungsfrei automatisch auf die verpackten Produkte, wie zB Getränkeflaschen, geklebt werden können.

Die Beklagte war vormals Mitglied im Verband Druck und Medien in Baden-Württemberg e.V., aus dem sie Ende 2001 austrat. Am 01.06.2001 schloss die Beklagte mit der IG Medien (die später mit anderen Gewerkschaften zu ver.di verschmolzen wurde) einen Anerkennungstarifvertrag (Bl. 25 - 26 der erstinstanzlichen Akte), in welchem geregelt wurde, dass auf den Betrieb der Beklagten die Regelungen der Tarifverträge der Druckindustrie Anwendungen finden sollen. Diesen Anerkennungstarifvertrag kündigte die Beklagte mit Wirkung zum 28.02.2011. Seit 01.03.2011 ist die Beklagte Mitglied im Verband der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie Baden-Württemberg e.V. (VPI). Dieser Verband wiederum ist Mitglied im Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung e.V., der den MTV Papier abgeschlossen hat.

Die Beklagte berechnete fortan die Nachtzuschläge und die Jahressonderleistungen nach den Regelungen des MTV Papier. Die Leistungen sind geringer als sie unter Anwendung der Regelungen des MTV Druck gewesen wären. Der Kläger machte ursprünglich Nachtzuschlagsdifferenzansprüche für den Zeitraum März bis Juni 2011 und September bis November 2011 geltend, sowie eine tarifliche Einmalzahlung und eine Differenz bei der Jahresleistung 2011, die hinsichtlich ihrer Höhe und ihrer rechtzeitigen Geltendmachung unstreitig sind.

Der Geltungsbereich des MTV Druck ist in dessen § 1 Nr. 2 wie folgt geregelt:

"Dieser Manteltarifvertrag gilt:

a) räumlich für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland;

b) fachlich für die Betriebe der Druckindustrie;

hierzu zählen die Druckvorlagenherstellung, die Druckformherstellung, der Druck und die Weiterverarbeitung, unabhängig von der Art des Druckverfahrens;

c) persönlich

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