Entscheidungsstichwort (Thema)
"Ärztliche Tätigkeit" für die Stufenzuordnung in § 19 Abs. 1a TV-Ärzte/VKA. Beschränkte Erlaubnis der ärztlichen Tätigkeit nach § 10 BÄO. Junktim zwischen der Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs und den Rechten und Pflichten eines approbierten Arztes. Tätigkeit als Assistenzarzt als "ärztliche Tätigkeit" i.S.d. § 19 Abs. 1a TV Ärzte/VKA
Leitsatz (amtlich)
1. § 19 Abs. 1a TV-Ärzte/VKA fordert für die Stufenzuordnung die entsprechenden Jahre "ärztlicher Tätigkeit" und knüpft mit diesem Begriff an das einschlägige Medizinalrecht und damit die BÄO an, die in § 2 Abs. 1 als Voraussetzung für die Ausübung des ärztlichen Berufs die Approbation normiert und in Abs. 2 bestimmt, dass eine vorübergehende oder eine auf bestimmte Tätigkeiten beschränkte "Ausübung des ärztlichen Berufs" auch aufgrund einer Erlaubnis zulässig ist.
2. Die Erlaubnis nach § 10 BÄO wird in der Regel auf eine nicht selbständige Tätigkeit in einem bestimmten Krankenhaus oder eine ärztliche Praxis beschränkt mit der Folge, dass der Arzt seine Tätigkeit nicht, auch nicht nur vertretungsweise über diesen Bereich ausdehnen darf.
3. § 10 Abs. 6 BÄO stellt klar, dass Personen, denen eine Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach den vorstehenden Vorschriften erteilt worden ist, "im Übrigen die Rechte und Pflichten eines Arztes" haben. Diese Regelung bedeutet, dass für den Inhaber einer Erlaubnis sämtliche normierten Rechte und Pflichten eines approbierten Arztes gelten.
4. Das bedeutet, dass die Tätigkeit als Assistenzarzt in Weiterbildung im Rahmen der eingeschränkten Erlaubnis als "ärztliche Tätigkeit" iSd. Tarifnorm zu verstehen ist. Dieser Fall musste somit nicht in die Sonderregelung des § 19 Abs 2 Satz 2 TV-Ärzte/VKA aufgenommen werden.
Normenkette
TV-Ärzte/VKA § 19 Abs. 1a, 2 S. 1; BÄO § 2 Abs. 2, § 10 Abs. 1, 6
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 09.11.2022; Aktenzeichen 9 Ca 256/22) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 09.11.2022 - 9 Ca 256/22 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifliche Stufenzuordnung und daraus abgeleitete Vergütungsansprüche des Klägers für den Zeitraum 15. November 2021 bis 30. April 2022.
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und war bei der Beklagten, die eine Klinik in B. betreibt, vom 15. November 2021 bis 30. April 2022 als Assistenzarzt in Vollzeit beschäftigt. Als Mitglied des Marburger Bundes richtete sich seine Vergütung im streitgegenständlichen Zeitraum nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA).
Der vorherige berufliche Werdegang des Klägers in Deutschland stellt sich - soweit für den Rechtsstreit von Belang - wie folgt dar:
Dem Kläger war mit Bescheid des Landesamtes für Soziales des S. vom 28. November 2018 gem. § 10 Absatz 1 der Bundesärzteordnung (im Folgenden: BÄO) widerruflich die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufes im Universitätsklinikum des S. für die Zeit vom 29. November 2018 bis 28. November 2020 erteilt worden (Anl. K5, ABl. 27 der erstinstanzlichen Akte) mit folgender Beschränkung:
"Die Erlaubnis ist beschränkt auf eine nicht selbstständige und nicht leitende Tätigkeit unter Aufsicht, Anleitung und Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten, die eine Approbation besitzen".
Vom 13. Dezember 2018 bis zum 12. Dezember 2020 hatte der Kläger im Universitätsklinikum des S. als Assistenzarzt gearbeitet. Mit Bescheid des Landesamtes für Soziales des S. vom 8. Dezember 2020 war ihm die Approbation zur Ausübung des ärztlichen Berufes erteilt worden (Anl. K6, ABl. 28 der erstinstanzlichen Akte). Vom 1. März bis zum 30. September 2021 hatte der Kläger im Universitätsklinikum M. ebenfalls als Assistenzarzt gearbeitet.
Die Beklagte ordnete den Kläger nach § 19 Abs. 1a TV-Ärzte/VKA in die Entgeltgruppe I Stufe 1 ein und vergütete ihn entsprechend. Nach dieser Vorschrift erreichen Ärztinnen und Ärzte die jeweils nächste Stufe nach den Zeiten einer Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber (Stufenlaufzeit) und zwar in Entgeltgruppe I Stufe 2 nach einjähriger ärztlicher Tätigkeit, Stufe 3 nach zweijähriger ärztlicher Tätigkeit, Stufe 4 nach dreijähriger ärztlicher Tätigkeit, Stufe 5 nach vierjähriger ärztlicher Tätigkeit und Stufe 6 nach fünfjähriger ärztlicher Tätigkeit. Gem. 19 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA werden bei der Anrechnung von Vorbeschäftigungen in der Entgeltgruppe I Zeiten ärztlicher Tätigkeit angerechnet (Abs. 2 Satz 1). Eine Tätigkeit als Ärztin/Arzt im Praktikum gilt als ärztliche Tätigkeit (Abs. 2 Satz 2).
Mit seiner am 19. Juli 2022 beim Arbeitsgericht Karlsruhe eingereichten Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 2.768,89 € brutto nebst Zinsen an ihn zu verurteilen und vorgetragen, er habe bei seiner Einstellung im November 2021 aufgrund seiner Vo...