Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Abbruchverfügung bei evidentem Verstoß des Wahlvorstandes gegen § 7 Abs. 2 WO
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Verfügungsanspruch auf einen gerichtlich angeordneten Wahlabbruch setzt die Feststellung eines offensichtlichen objektiven Rechtsverstoßes voraus. In der Regel ist zudem die Feststellung eines nicht korrigierbaren Mangels im Verfahren, der zur Nichtigkeit der Wahl führen würde, Voraussetzung. Im Einzelfall kann statt dessen schon ein zur Anfechtbarkeit der Wahl führender Fehler ausreichen, wenn er mit Sicherheit im einstweiligen Verfügungsverfahren festgestellt werden kann.
2. Bei der Interessenabwägung sind die Interessen der am Verfahren Beteiligten Betriebspartner und auch diejenigen der Belegschaft zu beachten.
Normenkette
ArbGG § 85 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940; BetrVG § 13 Abs. 2 Ziff. 1, § 22; WO §§ 6, 7 Abs. 1, § 10 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 30.01.2006; Aktenzeichen 75 BVGa 1279/06) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. Januar 2006 – 75 BVGa 1279/06 – abgeändert:
Dem Beteiligten zu 4) wird aufgegeben, die am 19. Dezember 2005 eingeleitete Betriebsratswahl bei der Beteiligten zu 5) abzubrechen und eine neue Betriebsratswahl einzuleiten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten – soweit dies das Beschwerdeverfahren betrifft – über den durch die Antragsteller zu 1) bis 3) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemachten Anspruch auf Abbruch eines Wahlverfahrens zum Betriebsrat.
Am 19. Dezember 2005 erließ der aus drei Mitgliedern bestehende Wahlvorstand, der Beteiligte zu 4), ein Wahlausschreiben. Die Betriebsratswahl in der Seniorenresidenz der Beteiligten zu 5), dem Haus St., war eingeleitet worden, weil im Oktober 2005 die amtierenden Mitglieder des Betriebsrats unter die gesetzlich vorgeschriebene Gesamtzahl gesunken war. Danach sollte die Neuwahl des Betriebsrats am 7. Februar 2006 stattfinden.
Die Beteiligten zu 1) bis 3) entschlossen sich zusammen mit einer weiteren Arbeitnehmerin, Frau G. Sch., zur Wahl einen eigenen Wahlvorschlag einzureichen. Sie trugen dazu die Wahlbewerber auf verschiedene jeweils als Wahlvorschlagslisten bezeichnete Blätter ein, sammelten Stützunterschriften auf einer separaten Liste und sandten diese Unterlagen dem Beteiligten zu 4) am 28. Dezember 2005 gegen 18.00 Uhr ein. Mit einem an Frau Sch. als Überbringerin der Liste gerichteten Schreiben vom 29. Dezember 2005 bestätigte der Beteiligte zu 4) dieser den Zeitpunkt des Eingangs. Am 3. Januar 2006 fand eine Sitzung des Beteiligten zu 4) statt; in dieser prüfte dieser die eingereichte Wahlvorschlagsliste und stellte dabei fest, dass diese unheilbar ungültig sei; und zwar unter anderem deswegen, weil die Bewerber nicht in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt worden seien, was er in einem an Frau Sch. als Listenvertreterin gerichteten Schreiben vom 3. Januar 2006, dieser am 5. Januar 2006 zugegangen, mitteilte. Daraufhin überarbeiteten die Antragsteller zusammen mit Frau Sch. die Liste, die sie dem Beteiligten zu 4) am 8. Januar 2006 übergaben; auf den Inhalt dieser Liste wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 11. Januar 2006 lehnte der Beteiligte zu 4) die Berücksichtigung der Wahlvorschlagsliste wegen Fristablaufs ab und begründete die erst am 3. Januar 2006 erfolgte Prüfung der am 28. Dezember 2005 eingereichten Liste damit, dass ihm dies wegen unterschiedlicher Schicht- und Abwesenheitszeiten der Wahlvorstandsmitglieder nicht vorher möglich gewesen sei.
Nach mündlicher Anhörung der Beteiligten am 27. Januar 2006 hat das Arbeitsgericht Berlin durch einen am 30. Januar 2006 verkündeten Beschluss den Antrag der Antragsteller zurückgewiesen. Die von ihnen begehrte Leistungsverfügung könne nicht ergehen. Ein korrigierender Eingriff in das Wahlverfahren durch Zulassung der verspätet eingereichten Wahlvorschlagsliste vom 6. Januar 2006 sei nicht möglich. Ein Abbruch der Wahl komme nur in Betracht, wenn ein Nichtigkeitsgrund festgestellt werden könnte; die sichere Anfechtbarkeit der Wahl genüge nicht. Anderenfalls würden die Antragsteller mehr erreichen können, als dies bei einer Wahlanfechtung der Fall wäre. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung habe keine rückwirkende Kraft; bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber bliebe der gewählte Betriebsrat im Amt. Würde man daher bereits im Fall der voraussichtlichen Anfechtbarkeit der bevorstehenden Wahl einen Abbruch zulassen, würde man sich über die Wertentscheidung des Gesetzgebers hinwegsetzen, dass bestimmte Fehler im Wahlverfahren im Interesse einer funktionierenden Mitbestimmung erst einmal hinzunehmen seien. Außerdem würde dadurch die Möglichkeit der Heilung von Anfechtungsgründen durch den Ablauf der für die Anfechtung vorgesehenen Frist unterlaufen werden. Einen zur Nichtigkeit der vorgesehenen Wahl führenden Fehler im Wahlverfahren hätten die Antragsteller aber nicht vorgebracht. Zwar habe der Beteiligte zu 4) gegen seine Prüfungspflicht gemäß § ...