Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Sozialauswahl bei einer in Etappen durchgeführten Betriebsstilllegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Betriebsstilllegung in Etappen durchgeführt, ist nach den Grundsätzen der Sozialauswahl zu entscheiden, welche Arbeitnehmer zu den verbleibenden Restaufgaben herangezogen werden und welche bereits vor der endgültigen Einstellung der betrieblichen Tätigkeit gekündigt werden können.
2. Hat der Arbeitgeber ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, so sind diese nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Sie können selbst dann weiterbeschäftigt werden, wenn sie weniger schutzbedürftig als mit ihnen vergleichbare Arbeitnehmer sind.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.11.2017; Aktenzeichen 12 Ca 11956/16) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. November 2017 - 12 Ca 11956/16 - geändert:
Die Klageanträge zu 1., 5., 7. bis 9. werden abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten bleibt dem Schlussurteil des Arbeitsgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren vor allem über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die Beklagte, ein Multimediakanal mit zwei Standorten in Berlin, beschäftigte die am ...1965 geborene Klägerin, die nach ihren Angaben einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, seit dem 04.05.2015 als Herstellungsleiterin gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 5.000,00 EUR. In § 3 des Arbeitsvertrags (Kopie Bl. 91 ff. der Akten) heißt es:
"Der Arbeitnehmer wird als Herstellungsleiterin am Standort Berlin eingestellt.
Er verpflichtet sich, auch andere zumutbare Arbeiten auszuführen - auch an einem anderen Ort -, die seinen Vorkenntnissen und Fähigkeiten entspricht und nicht mit einer Lohnminderung verbunden sind."
Die Klägerin nahm für die Beklagte jedenfalls zu Beginn des Arbeitsverhältnisses administrative Aufgaben wahr, deren Inhalt und Umfang zwischen den Parteien streitig sind.
Die Beklagte beschloss am 15.08.2016, den Geschäftsbetrieb spätestens zum 30.09.2016 einzustellen. Sie erstattete bei der Agentur für Arbeit am 22.08.2016 eine Massenentlassungsanzeige, die mit Bescheid vom 21.09.2016 (Kopie Bl. 53 f. der Akten) den vollständigen Eingang der Anzeige am 23.08.2018 bestätigte und u.a. die Entlassungssperre für alle Arbeitnehmer über 45 Jahren bis zum 23.10.2016 verlängerte.
Die Beklagte kündigte die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer, wobei einige von ihnen, unter ihnen Frau Sch. und Herr S., über den Tag der Betriebsschließung hinaus beschäftigt wurden. Frau Sch., eingestellt am 06.08.2014, 30 Jahre alt, keine Unterhaltspflichten und zuletzt als "Head of Administration" und persönliche Assistentin des früheren Geschäftsführers tätig, wurde bis zum 31.01.2017 und Herr S. bis zum 30.11.2016 eingesetzt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 26.08.2016 zum 30.09.2016.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt (Antrag zu 1.), die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses (Antrag zu 2.) begehrt, die Verurteilung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung (Hilfsantrag zu 3.), zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses (Antrag zu 4.), eines Zeugnisses (Hilfsantrag zu 5.) und von Arbeitspapieren (Antrag zu 6.) verlangt sowie ihre Ansprüche auf Vergütung für die Zeit von Dezember 2016 bis Juni 2017 (Anträge zu 7. bis 13.) und Urlaubsabgeltung (Antrag zu 14.) verfolgt. Die Beklagte, die der Klägerin mit Schreiben vom 13.09.2016 (Kopie Bl. 89 f. der Akten) ein Zeugnis erteilt hatte, ist der Klage entgegen getreten. Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 29.11.2017 der Kündigungsschutzklage entsprochen, die Beklagte zur Zahlung der Vergütung für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 (Anträge zu 7. bis 9.) verurteilt und die Klageanträge zu 2. bis 4. sowie 6. abgewiesen. Den Antrag zu 5. hat das Arbeitsgericht in seinem Urteilstenor abgewiesen, in den Entscheidungsgründen jedoch ausgeführt, der Antrag sei nicht zur Entscheidung angefallen. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Die Beklagte sei im Rahmen einer Sozialauswahl verpflichtet gewesen, die Klägerin bei der etappenweise durchgeführten Betriebsschließung über den 30.09.2016 hinaus zu beschäftigen. Die Klägerin sei mit Frau Sch. vergleichbar und unter sozialen Gesichtspunkten schutzbedürftiger. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass eine Weiterbeschäftigung der Frau Sch. in ihrem berechtigten betrieblichen Interesse lag. Da die Kündigung unwirk...