Entscheidungsstichwort (Thema)
betriebsbedingte Änderungskündigung. Anspruch auf Provision aus nicht zustande gekommener Zielvereinbarung?
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch schon die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse kann einen Anlass zur Kündigung geben, wenn die betrieblichen Umstände bereits greifbare Formen angenommen haben. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Kündigung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben.
2. Es entspricht der grundsätzlichen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, den Betrieb so zu organisieren, wie es der Unternehmer für sinnvoll erachtet. Eine Effizienzkontrolle mit der Folge, dass die Umorganisation der betrieblichen Abläufe nur erfolgen darf, wenn sie zu einer Effizienzsteigerung führt, ist nicht zulässig. Dem Arbeitgeber bleibt es überlassen, wie er sein Unternehmensziel am Markt verfolgt.
3. Auch ein eintretender Effizienzabfall auf Grund einer geänderten Vertriebsorganisation führt noch nicht dazu, dass die unternehmerische Organisationsentscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich und im Ergebnis als rechtlich unzulässig zu qualifizieren ist.
4. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB führt bei der Vereitelung einer Zielvereinbarung durch den Arbeitgeber keinesfalls zu einer Fiktion einer 100 %-igen Zielerreichung.
Normenkette
KSchG § 2; BGB § 162 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Urteil vom 16.01.2007; Aktenzeichen 3 Ca 1861/06) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 16.01.2007 – Az.: 3 Ca 1861/06 – teilweise abgeändert:
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
IV. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen, soweit über die Rechtsfolgen bei unterbliebener Zielvereinbarung entschieden wurde.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung, deren Änderungsangebot die Klägerin nicht – auch nicht unter Vorbehalt – angenommen hat, sowie über Zahlungsansprüche aus nicht zustande gekommenen Zielvereinbarungen.
Die Klägerin war seit 02.05.2000 für die Beklagte, einem Großhandelsunternehmen für
Computer, Laptops, Monitore, Drucker und Zubehör, an deren Sitz in Bl. als Vertriebsmitarbeiterin tätig, wobei sie aufgrund rückläufiger Umsatzzahlen zuletzt nur noch als einzige Vertriebsmitarbeiterin für den Vertrieb in Deutschland und im übrigen Europa mit Ausnahme von Frankreich und Großbritannien zuständig war. Ihre Vertriebsaufgaben umfassten zumindest auch die Bearbeitung von Kundenanfragen. Ihr Verdienst war auf ein fixes Gehalt von jährlich 72.000 DM (= 36.813,02 EUR) und ein variables, monatlich abzurechnendes Gehalt von jährlich bis zu 50.400 DM, später bis zu 50.000 DM (= 25.564,59 EUR) festgelegt worden. Die Höhe des variablen Gehaltsanteils war abhängig von jährlich zu treffenden Zielvereinbarungen.
Für den Zeitraum Mai 2000 bis April 2001 vereinbarten die Parteien als Zielvorgabe einen Mindestjahresumsatz von 12 Mio. DM bzw. Mindestmonatsumsatz von 1 Mio. DM (= 511.291,88 EUR) als provisionsauslösend. Von November 2000 bis Oktober 2001 wurde der provisionsauslösende Mindestjahresumsatz auf 9,6 Mio. DM und der Mindestmonatsumsatz auf 800.000 DM (= 409.033,50 EUR) abgesenkt. Für das Jahr 2002 vereinbarten die Parteien ein monatliches Mindestumsatzsoll von 400.000 EUR und für das Jahr darauf ein solches von 410.000 EUR. Die Klägerin bezog als Gesamtverdienst im Jahr 2002 43.000 EUR und im Jahr 2003 45.522 EUR. In den Jahren darauf wurden keine Zielvereinbarungen mehr getroffen, und die Klägerin erhielt seitdem auch keine Provisionszahlungen mehr. Die Gründe für das Nichtzustandekommen weiterer Zielvereinbarungen sind im Einzelnen streitig.
Unstreitig erzielte die Klägerin in den Jahren 2004 bis 2006 einen monatlichen Umsatz, der im Durchschnitt und mit sinkender Tendenz deutlich unterhalb von 400.000 EUR lag. Über die genauen Zahlen und die Gründe für den Rückgang besteht ebenfalls Streit.
Nach einer Anfang August 2006 getroffenen Entscheidung des Geschäftsführers der Beklagten, den Vertrieb künftig nur noch einheitlich vom Sitz des Vertriebsleiters in London aus durchzuführen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 18.08.2006 ordentlich zum 31.10.2006 und bot ihr gleichzeitig an, ab 01.11.2006 das Arbeitsverhältnis zu ansonsten gleichen Bedingungen am Arbeitsort London fortzusetzen. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot nicht an und forderte die Beklagte zur Zahlung der Höchstprovision für die vergangenen drei Jahre auf, was die Beklagte unter Hinweis auf die nicht erreichten Ziele der letzten Zielvereinbarung ...