Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung. „Treuegelder” und „Jubiläumsgelder” nach einer Musterbetriebsordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Entstehung und Beseitigung einer betrieblichen Übung im Zusammenhang mit einer Musterbetriebsordnung, die als Betriebsvereinbarung konzipiert, jedoch nicht unterzeichnet und darauf hin vom Arbeitgeber einseitig angewandt worden ist.
Normenkette
BGB §§ 242, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 01.12.2004; Aktenzeichen 7 Ca 17372/04) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Dezember 2004 – 7 Ca 17372/04 – teilweise geändert:
- Der Zahlungsantrag wird abgewiesen, soweit er auf eine Zahlung von mehr als 60,00 EUR (Hauptforderung) nebst anteiligen Zinsen gerichtet ist.
- Der Feststellungsantrag wird auch insoweit abgewiesen, als das Arbeitsgericht ihm entsprochen hat.
II. Von den Kosten der I. Instanz werden – bei einem Streitwert von 1.924,00 EUR – 97 % dem Kläger und 3 % der Beklagten auferlegt.
Von den Kosten der II. Instanz werden – bei einem Streitwert von 344,00 EUR – 83 % dem Kläger und 17 % der Beklagten auferlegt.
III. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten (in zweiter Instanz noch) über ein „Treuegeld”, das in einer „Musterbetriebsordnung” geregelt ist, welche die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Beschäftigungsbetrieb des Klägers einseitig angewandt hat und nun nicht mehr anwenden will.
Der 1948 geborene Kläger ist seit 1. Februar 1980 in einem Betrieb in H. beschäftigt, der einem Volkseigenen Betrieb gehörte, dessen Nachfolge-GmbH 1994 durch Verschmelzung in der A. Schienenfahrzeuge GmbH (ASF) aufging, die ihrerseits zum A.-Konzern gehörte. Später erwarb diesen Betrieb die Beklagte und stellt dort mit etwa 2400 Arbeitnehmern Schienenfahrzeuge her.
Unter dem 30. Juni 1994 übersandte die Zentralabteilung Personal- und Sozialpolitik der Muttergesellschaft der ASF eine „Musterbetriebsordnung” mit folgendem Begleitschreiben:
„Hinweis für die Geschäftsführungen
Die Musterbetriebsordnung für die A. Tochtergesellschaften in den neuen Bundesländern sowie die Anmerkungen hierzu sind das Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem Vorstand der A. und einer Verhandlungsdelegation des Konzernbetriebsrates. Zum Abschluss einer Konzernbetriebsvereinbarung ist es jedoch nicht gekommen, weil der Konzernbetriebsrat weitergehende Forderungen zu den „besonderen Leistungen an Mitarbeiter” (MuBO 6) gestellt hat, die wir nicht erfüllen wollten und konnten.
Der Vorstand hat deshalb beschlossen, das Verhandlungsergebnis den Tochtergesellschaften mit Sitz in den neuen Bundesländern (Beitrittsgebiet) als Musterbetriebsordnung zur Verfügung zu stellen mit der Maßgabe, dass jede Tochtergesellschaft eine eigene Betriebsordnung herausgeben kann.
Die Betriebsordnungen der Tochtergesellschaften müssen dabei der Musterbetriebsordnung und den Anmerkungen wörtlich entsprechen. Die Betriebsordnung ist als Betriebsvereinbarung, die Anmerkungen sind als Regelabsprache mit dem Betriebsrat (ggf. Gesamtbetriebsrat) zu vereinbaren…”
In der Musterbetriebsordnung, auf deren Wortlaut Bezug genommen wird (Bl. 14 bis 39 d.A.) sind unter 6.14 Regelungen über „Dienstjubiläum” einschließlich Zahlung von Jubiläumsgeldern enthalten, unter 6.16 Regelungen über ein „Treuegeld”, welches (soweit hier relevant) nach einer Dienstzeit von 20 Jahren jährlich 100,– DM betragen sollte, fällig mit der Vergütung für den Monat Mai. Der Betriebsrat des Betriebs in H. unterzeichnete die ihm angebotene Betriebsvereinbarung (aus nicht näher vorgetragenen Gründen) nicht. Die ASF und später die Beklagte wandte aber jedenfalls die Regelungen über das Dienstjubiläum und über das Treuegeld auf die Arbeitnehmer im H. Betrieb an. Dem Kläger billigte sie eine Dienstzeit seit 1. Februar 1980 zu und zahlte an ihn ab dem Jahr 2000 mit der Maivergütung ein Treuegeld aus. Aufgrund einer „Betriebsvereinbarung 86.1” vom 11. Januar 2002 im Zusammenhang mit der Euro-Einführung (Wortlaut Bl. 43 f. d.A.) handelte es sich dabei seither um 60,– EUR brutto.
Unter dem 25. Juni 2003 schrieb die Beklagte an den Betriebsratsvorsitzenden folgendes:
„…
Kündigung der A. Betriebsordnung
…
die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleistungen führen in ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den B.-Standorten.
Es ist das erklärte Ziel von B., ein Sozialleistungssystem zu installieren, welches den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt und den Bedürfnissen der Mitarbeiter besser Rechnung trägt.
Aus diesem Grunde sehen wir uns gezwungen, die oben genannte Betriebsvereinbarung fristgemäß zum 31. Dezember 2003 zu kündigen.
…”
Die Rechtfertigung hierzu sah die Beklagte in einer Klausel am Ende der Musterbetriebsordnung, die wie folgt lautet:
„9 Schlussbestimmungen
…
Die Betriebsordnung kann mit einer Frist von sechs Monaten zum End...