Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung nach Tarifvertrag im Falle einer betriebsbedingten Kündigung. Auslegung eines Tarifvertrags. keine Geltung hinsichtlich einer Kündigung vor Inkrafttreten

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifliche Abfindungsregelung für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung findet bei einer vor Inkrafttreten des Tarifvertrags erklärten Kündigung, die zu einem Ausscheiden des Arbeitnehmers nach Inkrafttreten führt, nur dann Anwendung, wenn sich der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer rückwirkenden Regelung unmißverständlich aus der tariflichen Norm ergibt.

 

Normenkette

§ 16 MTV für den herstellenden und vertreibenden Buchhandel vom 14.11.1995.

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 24.04.1996; Aktenzeichen 35 Ca 37629/95)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.05.1998; Aktenzeichen 3 AZR 765/96)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen des Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. April 1996 – 35 Ca 37629/95 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen vom Kläger geltend gemachten Abfindungsanspruch.

Das seit dem 1. Juni 1961 bestandene Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch eine ihm seitens der Beklagten, die ihren Sitz in Berlin-Pankow hatte, am 24. Mai 1995 erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 1995 aus betriebsbedingten Gründen aufgelöst. Der Kläger, der das zugleich erklärte Angebot der Beklagten zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Stuttgart nicht annahm, erhob zunächst Kündigungsschutzklage, nahm diese in der Folgezeit aber wieder zurück.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien – die Beklagte ist tarifgebunden – fanden die tariflichen Bestimmungen für den herstellenden und verbreitenden Buchhandel im Tarifgebiet Berlin (Ost) und Brandenburg Anwendung. Insoweit war am 14. Mai 1991 ein Manteltarifvertrag abgeschlossen worden, der gemäß § 21 Ziff. 4 „die erste Phase der Überleitung der allgemeinen Arbeitsbedingungen auf das Niveau des für das ehemalige Berlin-West geltenden MTV” regeln sollte. Die in dem letztgenannten Tarifvertrag – vgl. § 17 MTV in der Fassung vom 1. Juli 1989 und § 17 MTV vom 21. April 1994, gültig ab Mai 1994 – enthaltene Regelung über die Zahlung einer Abfindung im Falle einer betriebsbedingten Kündigung wurde vom Manteltarifvertrag für Berlin-Ost und Brandenburg vom 14. Mai 1991 nicht übernommen; es heißt dazu: § 17 (entfällt). Dem folgte der am 14. November 1995 geschlossene und am 15. November 1995 in Kraft getretene Manteltarifvertrag; dazu hatten sich die Tarifvertragsparteien zur Aufnahme der Abfindungsregelung in § 16 MTV geeinigt; und zwar mit folgendem Wortlaut:

„Wird ein Arbeitnehmer, der das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht hat, aus betriebsbedingten Gründen gekündigt, so erhält er bei Ausscheiden eine Abfindung. Diese beträgt:

im 1. und 2. Jahr der Betriebszugehörigkeit: ein Brutto-Monatsentgelt;

ab dem 3. Jahr der Betriebszugehörigkeit: drei Monatsentgelte.”

Der Kläger hat die Beklagte mit seiner beim Arbeitsgericht am 13. Dezember 1995 eingegangenen Klage auf Zahlung einer Abfindung in rechnerisch unstreitiger Höhe auf der Grundlage des § 16 MTV in Anspruch genommen.

Die Beklagte ist der Auffassung des Klägers, es komme nach Wortlaut und Sinn sowie Zweck der Tarifnorm nur darauf an, daß der Arbeitnehmer nach Inkrafttreten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, entgegengetreten.

Durch ein am 24. April 1996 verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Es spreche schon der Wortlaut der tariflichen Regelung dafür, daß eine Abfindung nur im Falle einer nach Inkrafttreten des MTV erklärten Kündigung zu zahlen sei, weil die Tarifvertragsparteien das Futur gewählt hätten. Die Kündigung sei – sollte nicht das Merkmal des Ausscheidens nur die Fälligkeit der Forderung betreffen – zumindest ebenfalls eine Anspruchsvoraussetzung. Als solche müsse sie grundsätzlich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags vorliegen. Anderenfalls hätte die Regelung eine echte Rückwirkung zum Gegenstand. Da diese nur in engen Grenzen überhaupt zulässig sei, hatte es einer klaren Regelung dazu im Tarifvertrag bedurft, die aber nicht vorliege. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 30. Mai 1996 zugestellte Urteil richtet sich seine beim Landesarbeitsgericht am 26. Juni 1996 eingegangene Berufung, die er zugleich begründet hat.

Die betriebsbedingte Kündigung stelle nach dem Wortlaut der tariflichen Regelung lediglich eine Bedingung dar, bei deren Vorliegen der Arbeitnehmer einen Anspruch habe, wenn er dadurch ausscheide. Der Anspruch entstehe daher erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Längerfristig beschäftigte Arbeitnehmer mit längeren Kündigungsfristen wären sonst ohne jeden Grund benachteiligt.

Ansonsten wäre von einer unbewußten, ausfüllungsbedürftigen Tariflücke auszugehen, die das Gericht in seinem Sinne zu schließen habe.

Werde die Tarif...

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