Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl. betriebliches Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers. verspätetes Vorbringen in erster Instanz
Leitsatz (amtlich)
Erhebt der Kläger einer Kündigungsschutzklage in erster Instanz die Rüge fehlerhafter Sozialauswahl in Bezug auf einen konkret bezeichneten, sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer verspätet, und stützt das Arbeitsgericht seine klagestattgebende Entscheidung auf diese Rüge, ohne dazu den Arbeitgeber ausreichend zu hören, so hat der unterlegene Arbeitgeber die Gründe für die Bevorzugung des genannten Arbeitnehmers, insbesondere die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG, mit der Berufungsbegründung vorzutragen; er kann sich nicht auf den Angriff beschränken, das Arbeitsgericht hätte die Rüge als verspätet zurückweisen müssen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, 3 Sätze 1-2; ArbGG § 67 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 15.01.2002; Aktenzeichen 54 Ca 18492/01) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Januar 2002 – 54 Ca 18492/01 – wird – soweit das Urteil nicht infolge der teilweisen Klagerücknahme gegenstandslos geworden ist – zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits, die bis zur Rücknahme des Beschäftigungsantrages in der Berufungsinstanz entstanden sind (Kosten- und Gebührenstreitwert 8.180,67 EUR), werden 3/4 der Beklagten, 1/4 dem Kläger auferlegt. Die danach angefallenen Kosten (Kosten- und Gebührenstreitwert 6.135,50 EUR) hat die Beklagte allein zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine betriebsbedingte Kündigung vom 27.06.2001, die das seit 05.04.1988 bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers als Produktionsarbeiter zum 30.09.2001 beenden sollte, ferner über den Beschäftigungsanspruch des Klägers für die Dauer des Rechtsstreits. Die Kündigung hat zum Hintergrund, dass die Beklagte infolge eines erheblichen Umsatzrückganges beschlossen hat, ihre Fensterbankproduktion von Berlin nach N. in Thüringen zu verlagern, was zum Wegfall von 26 Arbeitsplätzen in Berlin geführt habe; gleichzeitig mit dem Kläger hat die Beklagte 16 weitere gewerbliche Arbeitnehmer gekündigt.
Durch Urteil vom 15.01.2002, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 114 ff. d. A.), hat das Arbeitsgericht antragsgemäß
- festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.06.2001 beendet worden ist,
- die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Produktionsarbeiter weiter zu beschäftigen.
Die Kündigung sei nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG unwirksam, da die Beklagte den mit dem Kläger vergleichbaren Arbeiter D. W., der sozial deutlich weniger schutzbedürftig sei als der Kläger, weiter beschäftige und nicht dargelegt habe, weshalb seine Weiterbeschäftigung nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG in berechtigtem betrieblichen Interesse liege. Zwar habe der Kläger die Sozialauswahl im Hinblick auf Herrn W. erstmals im zweiten Kammertermin und ohne schriftsätzliche Vorbereitung gerügt; die Beklagte hätte aber auf eine solche Rüge vorbereitet und deshalb in der Lage gewesen sein müssen, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sogleich im Termin zu erläutern.
Gegen dieses am 30.01.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.02.2002 eingegangene und am 08.05.2002 (nach entsprechender Fristverlängerung) begründete Berufung der Beklagten.
Sie macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht hätte die Berufung des Klägers auf Herrn W. als verspätet zurückweisen müssen; da das Beurteilungsprofil für Herrn W., das seine Herausnahme aus der sozialen Auswahl rechtfertige, im Termin nicht zur Hand gewesen sei, habe das Arbeitsgericht eine willkürliche Entscheidung zu ihren, der Beklagten, Lasten getroffen.
Nach Ausspruch einer weiteren Kündigung vom 22.04.2002 zum 31.07.2002, die Gegenstand eines weiteren Kündigungsrechtsstreits ist (81 Ca 13096/02) hat der Kläger im Termin vor der Berufungskammer den auf Beschäftigung gerichteten Klageantrag mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil, soweit durch die Klagerücknahme nicht gegenstandslos, zu ändern und den Feststellungsantrag abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht sich die Urteilsbegründung zu Eigen, bestreitet nunmehr den Wegfall seines Arbeitsplatzes im Hinblick darauf, dass er nur aushilfsweise in der Fensterbankproduktion gearbeitet habe, und rügt die Sozialauswahl im Hinblick auf einige weitere namentlich bezeichnete, mit ihm vergleichbare und tatsächlich nicht gekündigte Arbeitnehmer. Auch bestreite er, dass dem Betriebsrat ausreichende Informationen darüber gegeben worden seien, weshalb bestimmte Arbeitnehmer, darunter Herr W., von der Sozialauswahl ausgenommen worden seien.
Die Beklagte hat auch in der Berufungsinstan...