Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Arbeitnehmers auf eine tarifliche Inflationsausgleichsprämie. Rechtmäßigkeit der Ausnahme altersbedingter scheidender Mitarbeiter und Teilzeitbeschäftigter von der Inflationsausgleichsprämienregelung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien dürfen mit der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise die weiteren Ziele verfolgen, die zum Auszahlungszeitpunkt geleistete Arbeit zu vergüten und zukünftige Betriebstreue zu belohnen. Die Verknüpfung mit weiteren Zielen steht der Steuerprivilegierung des § 3 Nr. 11c EStG nicht entgegen, wenn diese dem Zweck der Abmilderung der erhöhten Verkaufspreise nicht zuwiderlaufen.
2. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, die sich am Stichtag in der Passivphase der Altersteilzeit befunden haben, von der Zahlung einer derartigen Inflationsausgleichsprämie ausnehmen.
3. Eine Ausnahme für Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit kann bei einer derartigen Inflationsausgleichsprämie mittelbar benachteiligend wegen des Alters und wegen der Teilzeittätigkeit sein, ist aber durch die Ziele der Vergütung der Arbeit zum Auszahlungszeitpunkt und der Belohnung der zukünftigen Betriebstreue gerechtfertigt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; EStG § 3 Nr. 11c; AGG § 7 Abs. 1; TzBfG § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 23.10.2023; Aktenzeichen 6 Ca 1687/23) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 23.10.2023 - 6 Ca 1687/23 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine tarifvertragliche Inflationsausgleichsprämie.
Der Kläger ist seit dem 16.02.2015 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen tätig. Gemäß § 2 seines Arbeitsvertrags vom 26.01.2015 finden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung (vgl. Anlage K2 zum Schriftsatz des Klägers vom 02.02.2024). Auf das Arbeitsverhältnis findet gemäß § 2 des Arbeitsvertrags vom 26.01.2015 der MTV RWE in der Tarifgruppe Integration Anwendung. Die Auszahlung der Gehälter erfolgt am 25. eines Monats.
Am 22.05.2018/28.05.2018 schloss der Kläger mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vereinbarung über Altersteilzeit im Blockmodell (vgl. Anlage 1 zur Klageschrift vom 26.07.2023). Vom 01.05.2018 bis zum 30.04.2022 befand sich der Kläger in der Aktivphase. Seit dem 01.05.2022 ist er in der bis zum 30.05.2026 vorgesehenen Passivphase.
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbands Q. Der Q. und der Arbeitgeberverband N. eV verhandelten mit den Gewerkschaften F. und T. ab März 2023 über die Anpassung der Vergütung. Im ersten Verhandlungstermin am 06.03.2023 forderten die Gewerkschaften ua. eine Anhebung der Tabellenvergütung um 13 % bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Die Arbeitgeberseite konnte sich eine Anhebung der Tabellenvergütung ab dem 01.04.2023 um 4,2 % für 15 Monate und ab dem 01.07.2024 um weitere 3 % für weitere neun Monate sowie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie iHv. 2.000,00 € für 2023 und iHv. 1.000,00 € für 2024 vorstellen.
Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsterminen und Warnstreiks einigten sich die Tarifvertragsparteien am 24.04.2023 insbesondere auf eine Anhebung der Tabellenvergütung ab dem 01.04.2023 um 6 % für 15 Monate und ab dem 01.07.2024 um weitere 4,5 % für sechs Monate sowie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Dazu schlossen sie am 24.04.2023 den Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gemäß § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz (TV IAP). Der TV IAP sah in § 1 auszugsweise folgende Regelung vor (vgl. Anlage 4 zur Klageschrift vom 26.07.2023):
"§ 1
Einmalige Inflationsausgleichsprämie
1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (nachfolgend "Arbeitnehmer") ..., ... die am 31.05.2023 (Stichtag) in einem ungekündigten nicht ruhenden Arbeitsverhältnis stehen, erhalten zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt eine Einmalzahlung (Inflationsausgleichsprämie). Mit der Einmalzahlung sollen die gestiegenen Verbraucherpreise abgemildert werden.
2) Die Höhe der Einmalzahlung beträgt bei Arbeitnehmern unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad 3.000 € und bei Auszubildenden 2.100 €. Geringfügig Beschäftigte erhalten die Sonderzahlung entsprechend ihrem jeweiligen Beschäftigungsgrad zum 31.05.2023. Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden, erhalten keine Einmalzahlung.
Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in Elternzeit befinden, erhalten unabhängig vom Status ihres Beschäftigungsverhältnisses (ruhend/nicht ruhend) und vom jeweiligen Beschäftigungsgrad ebenfalls eine Einmalzahlung in Höhe von 3.000 €.
3) Die Einmalzahlung wird im Monat Juni 2023 ausgezahlt.
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Protokollnotiz zu § 1 Abs...