Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. ordentliche Unkündbarkeit/Verschlechterung durch Änderungstarifvertrag- Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich nicht gehindert, eine aufgrund eines Firmentarifvertrages bestehende ordentliche Unkündbarkeit im Falle einer wirtschaftlichen Notlage des Unternehmens einzuschränken, um diesem erforderliche Strukturmaßnahmen zur Überwindung der Krise zu ermöglichen. Das gilt auch dann, wenn bisher keine Ausnahmevorschrift über die Zulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen bestand.
2. Dem Arbeitgeber, der im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Begriff der „Entlassung” im Sinne von § 17 Abs. 1 KSchG keine Massenentlassungsanzeige erstattet, ist für den Zeitraum bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 – Rs C 188/03 – Junk zumindest Vertrauensschutz zu gewähren.
Normenkette
BAT § 53 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 5, § 17 ff.; Richtlinie 98/59/EG
Verfahrensgang
ArbG Essen (Urteil vom 13.01.2005; Aktenzeichen 1 Ca 4192/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Essen vom13.01.2005 – 1 Ca 4192/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung.
Der am 09.11.1950 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.09.1986 in dem Betrieb des Beklagten in F. als Ausbilder beschäftigt. Als staatlich geprüfter Elektrotechniker mit Ausbilderbefähigung wurde der Kläger seit dem 01.03.2004 im Bereich „Kaufleute und Dienstleistungsberufe” der Abteilung „Training” gegen eine monatliche Bruttovergütung von 3.230,– EUR eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Abrede ein Haustarifvertrag („Bfz-Tarifvertrag”) in Verbindung mit dem Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen Anwendung. Für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis 30.11.2010 hatten die Parteien Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart.
Der Beklagte führt in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins von der Bundesagentur für Arbeit geförderte Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen durch. Es besteht ferner ein Tochterunternehmen D. H. gGmbH.
Nachdem sich die wirtschaftliche Situation des Beklagten im Zuge der Änderungen am Arbeitsmarkt („Hartz-Reformen”) wegen des Rückgangs öffentlicher Fördermittel verschlechtert hatte, schloss dieser mit der Gewerkschaft ver.di am 03.02.2004 einen „Notlagentarifvertrag”, der u.a. eine Absenkung der monatlichen Bruttovergütung der Arbeitnehmer um 14,5 % für den Zeitraum vom 01.02.2004 bis 31.01.2005 vorsah. Die Tarifpartner vereinbarten dann mit Änderungstarifvertrag vom 09.09.2004 mit Wirkung ab dem 15.09.2004 eine Abänderung des Notlagentarifvertrages vom 03.02.2004. Dort heißt es unter § 1 Abs. 1 wie folgt:
„In § 3 des Notlagentarifvertrages wird folgender Abs. 6 eingefügt:
§ 53 Abs. 3 BAT gilt beim Bfz-F. e.V. bis zum 31.12.2004 ausschließlich in folgender Fassung:
Nach einer Beschäftigungszeit (§ 19) von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, ist der Angestellte unkündbar. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer im Zuge einer Betriebsänderung betriebsbedingt entlassen wird, die Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung vorliegt und Anspruch auf Leistungen eines Sozialplanes besteht. In diesen Fällen beträgt die Kündigungsfrist 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Die vorstehende Regelung gilt entsprechend für § 58 MTArb.”
Ein zu dieser Zeit vorliegendes Betriebskonzept des Beklagten, der im Jahre 2004 noch ca. 150 Arbeitnehmer beschäftigte, sah neben einer Reduzierung des Personals auf rund 74 Vollzeitstellen u.a. einen verstärkten Einsatz von freien Mitarbeitern (Honorarkräften) insbesondere im Bereich „Training” vor, um flexibel auf Nachfrageschwankungen und Entwicklungen der Märkte reagieren zu können und damit auch Kosten zu sparen. Die bei dem Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer im Bereich der Schulungen sollten vorrangig noch organisatorische Aufgaben wahrnehmen und für solche Unterrichtsmaßnahmen zuständig sein, bei denen Spezialwissen abzurufen ist. Das Personal der D. H. gGmbH sollte insgesamt abgebaut werden.
Im Hinblick auf diese Personalmaßnahmen vereinbarten der Beklagte und seine Tochtergesellschaft am 21.09.2004 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. In der Präambel dieses Interessenausgleichs wird darauf verwiesen, dass der Beklagte in den Jahren 2004 und 2005 mit Umsatzrückgängen von 1 Mio. bzw. 4 Mio. EUR gegenüber den ursprünglichen Planungen zu rechnen habe und ohne Gegenmaßnahmen noch im Laufe des Jahres 2004 mangels Liquidität Insolvenzantrag gestellt werden müsste. Dem Interessenausgleich war eine von den Betriebsparteien unterzeichnete Namensliste mit 82 Arbeitnehmern als Anlage 2 beigefügt. Diesen Arbeitnehmern sollte f...