Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlung eines tariflichen Inflationsausgleichs während der Elternzeit und einer Entschädigung wegen Diskriminierung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien dürfen mit der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie neben der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise das weitere Ziel verfolgen, geleistete Arbeit in einem Bezugszeitraum zu vergüten. Die Verknüpfung mit einem weiteren Ziel steht der Steuerprivilegierung des § 3 Nr. 11c EStG nicht entgegen, wenn es dem Zweck der Abmilderung der erhöhten Verkaufspreise nicht zuwiderläuft.
2. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die Tarifvertragsparteien den Bezug von Entgelt an mindestens einem Tag im Bezugszeitraum als Anspruchsvoraussetzung für den Inflationsausgleich festlegen.
3. Auch wenn die Tarifvertragsparteien zur Abmilderung besonderer Härten Ausnahmen für Beschäftigte vorsehen, die Krankengeld oder Kinderkrankengeld beziehen, dürfen sie Beschäftigte in Elternzeit von dem Bezug der Inflationsausgleichsprämie ausnehmen. Die Inanspruchnahme einer Elternzeit ist im Regelfall planbar. Die eigene oder die Erkrankung des Kindes tritt dagegen typischerweise plötzlich und unerwartet auf.
Normenkette
TVG § 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; EStG § 3 Nr. 11c; AGG § 7 Abs. 1; TzBfG § 4 Abs. 1; EStG § 3 Nr. 11 Buchst. c)
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 16.04.2024; Aktenzeichen 3 Ca 2231/23) |
Tenor
I. Auf die Berufung der beklagten Stadt wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 16.04.2024 - 3 Ca 2231/23 - unter Zurückweisung der Berufung der beklagten Stadt im Übrigen und der Anschlussberufung der Klägerin teilweise abgeändert und in der Hauptsache zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
- Die beklagte Stadt wird verurteilt, an die Klägerin 220,00 € brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2023 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung eines tariflichen Inflationsausgleichs während der Elternzeit und um eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG.
Die Klägerin war seit dem 16.01.2019 bei der beklagten Stadt in Vollzeit im Technischen Dienst beschäftigt. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags vom 12.10.2018 (vgl. Anlage K1 zur Klageschrift vom 18.10.2023) bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach der durchgeschriebenen Fassung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem fänden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung. Die beklagte Stadt ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Nordrhein-Westfalen, der wiederum Mitglied der VKA ist.
Die VKA vereinbarte mit der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft für den Zeitraum bis einschließlich Februar 2024 keine prozentuale Entgelterhöhung. Erst zum 01.03.2024 setzten erhöhte Tabellenbeträge ein. Für den Zeitraum bis dahin trafen ua. die VKA und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft im Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise vom 22.04.2023 (TV Inflationsausgleich) auszugsweise folgende Regelungen:
"§ 1
Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für Personen, die unter den Geltungsbereich eines der nachstehenden Tarifverträge fallen:
a) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD),...
§ 2
Inflationsausgleich 2023
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten eine einmalige Sonderzahlung mit dem Entgelt für den Monat Juni 2023 (Inflationsausgleich 2023), wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
(2) 1Die Höhe des Inflationsausgleichs 2023 beträgt für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVöD... fallen, 1.240 Euro....
§ 3
Monatliche Sonderzahlungen
(1) 1Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 (Bezugsmonate) monatliche Sonderzahlungen. 2Die Auszahlung erfolgt mit dem Entgelt des jeweiligen Bezugsmonats. 3Der Anspruch auf den monatlichen Inflationsausgleich besteht jeweils nur, wenn in dem Bezugsmonat ein Arbeitsverhältnis besteht und an mindestens einem Tag im Bezugsmonat Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
(2) 1Die Höhe der monatlichen Sonderzahlungen beträgt für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVöD... fallen, 220 Euro.... 3§ 24 Absatz 2 TVöD... gelten entsprechend. 4Maßgeblich sind die jeweiligen Verhältnisse am 1. Tag des jeweiligen Bezugsmonats....
§ 4
Gemeinsame Bestimmungen für die Sonderzahlungen nach §§ 2 und 3
(1) 1Der Inflationsausgleich 2023 nach § 2 sowie die monatlichen Sonderzahlungen na...