Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstillegung durch Insolvenzverwalter
Leitsatz (amtlich)
Die von dem Insolvenzverwalter noch vor dem anstehenden Berichtstermin in der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) beabsichtigte und betriebene Betriebsstillegung kann nicht als eine – den Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung genügende – „endgültige Stillegungsentscheidung” angesehen werden, wenn nach den vorliegenden Wirtschaftsdaten des Unternehmens auch eine nach dem Insolvenzrecht vertretbare vorläufige Fortführungsentscheidung der Gläubigerversammlung in Betracht zu ziehen ist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; InSO § 157
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Urteil vom 20.03.2002; Aktenzeichen 3 Ca 2656/01) |
Tenor
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird dasUrteil desArbeitsgerichts Solingen vom 20.03.2002 – 3 Ca 2656/01 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 29.10.2001 nicht aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1945 geborene Kläger, verheiratet und einem Kind unterhaltspflichtig, war seit dem 01.08.1994 bei der Firma B. GmbH & Co. Produktions KG (im Folgenden: Gemeinschuldnerin) als Maschinenarbeiter/Abgrater tätig. Gegenstand des Unternehmens der Gemeinschuldnerin sind Produktion und Vertrieb von Metallerzeugnisses sowie Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen sowie sämtliche Geschäfte, die dem Geschäftszweck dienen. Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 01.10.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die zur „B.-Unternehmensgruppe” mit insgesamt ca. 50 Beschäftigten gehörende Gemeinschuldnerin beschäftigte zur Zeit der Insolvenzeröffnung ca. 30 Arbeitnehmer. Der Beklagte hielt den Geschäftsbetrieb der Gemeinschuldnerin zunächst aufrecht, stellte allerdings zehn Mitarbeiter, darunter den Kläger sowie zwei weitere Abgrater frei, um Überkapazitäten abzubauen.
Für eine Dauerhafte Fortführung des Unternehmens sah der Beklagte aber keine wirtschaftliche Grundlage und informierte den Betriebsrat über eine von ihm beabsichtigte Betriebsstillegung spätestens zum 31.12.2001. Unter dem 29.10.2001 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan ab.
In § 1 des Interessenausgleiches heißt es:
„Die Beteiligten stimmen überein, dass es unumgänglich ist, zur Umsetzung der vorgenannten Unternehmerentscheidungen eine Kündigung der bestehenden Arbeitsverhältnisse vorzunehmen. Die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter werden daher aus betrieblichen Gründen unter Einhaltung der Kündigungsfrist des § 113 I 2 InsO gekündigt. Soweit erforderlich, werden die behördlichen Zustimmungsverfahren eingeleitet.”
Entsprechend der Regelung in § 1 des Interessenausgleiches hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 29.10.2001 zum 31.01.2002 gekündigt; wie er behauptet, ist sämtlichen Mitarbeitern der Gemeinschuldnerin gekündigt worden.
Unter dem 05.11.2001 erstattete der Beklagte für das Insolvenzgericht und die Gläubigerversammlung einen Bericht, in dem er vorschlug, den Geschäftsbetrieb der Gemeinschuldnerin zum 31.12.2001 einzustellen.
Dieser Beschlussempfehlung hat die Gläubigerversammlung vom 07.11.2001 nicht entsprochen. Sie beschloss vielmehr, das Unternehmen solange fortzuführen, solange keine Verluste erzielt würden. Aufgrund dieses Beschlusses hat der Beklagte seine Stillegungsabsicht nicht weiter realisiert, sondern führt den Betrieb mit jetzt noch 13 Mitarbeitern fort.
Mit seiner am 19.11.2001 eingereichten Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 29.10.2001. Mit Klageerweiterung vom 21.02.2002 hatte er hilfsweise die Wiedereinstellung beansprucht.
Seiner Ansicht nach könne angesichts des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 07.11.2001 und der Weiterführung des Betriebes nicht angenommen werden, dass der Beklagte endgültig entschlossen gewesen sei, den Betrieb stillzulegen, worauf die Kündigung ausschließlich gestützt werde. Zumindest könne er die Wiedereinstellung beanspruchen, nachdem sich die Prognose des Beklagten hinsichtlich einer fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit infolge beabsichtigter Betriebsstillegung alsbald als unzutreffend erwiesen habe.
Das Arbeitsgericht Solingen hat durch Urteil vom 20.03.2002 – 3 Ca 2656/01 – die Kündigungsschutzklage zurückgewiesen und dem Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers entsprochen. Es hat darauf abgestellt, dass der Beklagte die ernsthafte und endgültige Absicht verfolgt habe, den Betrieb der Gemeinschuldnerin spätestens zum 31.12.2001 stillzulegen, was hinreichender Grund für die streitgegenständliche Kündigung vom 29.10.2001 gewesen sei. Nachdem er diese Absicht aufgrund des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 07.11.200...