Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, welche kündigungsrechtlichen Folgen es hat, wenn der Arbeitgeber es unterlässt, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anzubieten, und zwar vor dem Hintergrund, dass der Arbeitnehmer ein solches etwa anderthalb Jahre zuvor abgelehnt hatte, danach jedoch erneut die Voraussetzungen für die Durchführung eines bEM eingetreten sind.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass eine Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist. Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit.
2. Es kann zu einer Erweiterung der Darlegungslast des Arbeitgebers führen, wenn er entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement unterlassen hat.
3. Hat der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, so kommt es darauf an, ob er den Betroffenen zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hat.
4. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist auch nicht deshalb erforderlich, weil der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin ein solches in der Vergangenheit erfolglos angeboten hatte. Das gilt jedenfalls dann, wenn bis zur Kündigung ein Zeitraum von mehr als einem Jahr verstrichen war, in dem die Arbeitnehmerin wiederum länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war.
Normenkette
SGB IX § 84 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 04.04.2016; Aktenzeichen 2 Ca 5709/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 04.04.2016 - 2 Ca 5709/15 - abgeändert:
Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.01.2016 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.09.2015 nicht aufgelöst ist.
Die erstinstanzlichen Kosten hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis der Klägerin im Termin am 18.01.2016 entstandenen Kosten. Diese hat die Klägerin zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Die im August 1971 geborene, ledige Klägerin ist seit Oktober 1994 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin als Flugbegleiterin gegen ein monatliches Bruttoeinkommen von zuletzt etwa 3.700,00 € tätig. Die Beklagte betreibt mit mehr als zehn Arbeitnehmern eine Fluggesellschaft. Bei ihr ist auf Basis eines auf § 117 Abs. 2 BetrVG beruhenden Tarifvertrags (im Folgenden: TVPV) eine Personalvertretung gebildet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag Nr. 12 für das Kabinenpersonal der LTU vom 25.03.2011 (im Folgenden: MTV Nr. 12) Anwendung. Die Klägerin ist in Teilzeit mit 83,34 % der normalen Arbeitszeit dergestalt tätig, dass sie jährlich zwei Freimonate erhält.
Die Klägerin war in der Zeit von 2001 bis zum August 2015 an insgesamt 1553 Kalendertagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. An 1330 Kalendertagen erhielt sie Entgeltfortzahlung. Aus den Angaben in den Lohnabrechnungen der Beklagten ergibt sich, dass die Klägerin 120 Kalendertage in 2011, 57 in 2012, 153 in 2013, 66 in 2014 und 56 in den ersten acht Monaten 2015, insgesamt also in der Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.08.2015 an 452 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt war und an 393 Tagen Entgeltfortzahlung erhielt. An den 59 Tagen ohne Entgeltfortzahlung leistete die Beklagte danach an 47 Tagen einen Zuschuss zum Krankengeld. Der Beklagten entstanden auf der Grundlage der Abrechnungen im zuletzt genannten Zeitraum Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von knapp 52.000,00 € brutto. Wegen der Einzelheiten der Krankheitstage wird auf die Aufstellung auf Seite 6 bis 12 der Klageerwiderung vom 30.11.2015 verwiesen (Bl. 76 bis 82 d. A.). Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im zuletzt genannten Zeitraum stammen von acht verschiedenen Ärzten.
Zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (im Folgenden: bEM) ist bei der Beklagten die Betriebsvereinbarung "fit for flight" vom 14.11.2013 (Bl. 387 ff. d. A.) vereinbart. Die Beklagte bot der Klägerin mit Schreiben vom 14.10.2013 (Bl. 297 d. A.) und 18.03.2014 (Bl. 299 d. A.) ein bEM an. Einleitend heißt es in den Schreiben jeweils:
"...nach den uns vorliegenden Informationen waren Sie innerhalb der letzten 12 Monate länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt."
Auf dem vorformulierten Antwortformular kreuzte die Klägerin jeweils an, dass sie der Durchführung des bEM nicht zustimme. Im Rahmen der ersten Ablehnung wies sie die Beklagte mit E-Mail...