Entscheidungsstichwort (Thema)
nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage
Leitsatz (amtlich)
1. Nach Ablauf der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann ein Antrag auch dann nicht mehr mit Erfolg gestellt werden, wenn den Arbeitnehmer an der Versäumung der Frist keinerlei Verschulden trifft.
2. Die Kammer hält § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch in der vorstehenden Auslegung für mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
KSchG § 5 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Essen (Urteil vom 24.04.2008; Aktenzeichen 8 Ca 648/08) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24. April 2008 – 8 Ca 648/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der im November 1953 geborene Kläger war bei der Beklagten, die etwa 350 Mitarbeiter beschäftigt, seit Juni 1974 zuletzt als Sachbearbeiter gegen einen Bruttomonatsverdienst von 3.625,– EUR nebst einem Arbeitgeberzuschuss zur Vermögensbildung in Höhe von 26,59 EUR angestellt. Der Kläger war Mitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats.
Wenigstens seit dem Jahr 2006 ist der Kläger an einer Depression erkrankt. Von September 2006 bis zum 3. Februar 2007 war er aufgrund eines Rückenleidens arbeitsunfähig krank geschrieben. Im Anschluss daran täuschte er seiner Frau vor, wieder zur Arbeit zu gehen. Tatsächlich ging er jedoch im Wald spazieren.
Mit Schreiben vom 4. April 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos wegen unentschuldigten Fehlens. Das Kündigungsschreiben wurde per Boten am gleichen Tag um 10:40 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen. Der Kläger beantragte weder Arbeitslosengeld noch Sozialleistungen. Er unternahm mehrere Suizidversuche. Ende Januar 2008 meldete die Ehefrau des Klägers diesen bei der Polizei als vermisst, da er verschwunden war. Am 11. Februar 2008 begab der Kläger sich aufgrund Zuredens eines Freundes in stationäre psychiatrische Behandlung. Nach dem Verschwinden des Klägers fand dessen Ehefrau, die sich aufgrund der ehelichen Arbeitsteilung um geschäftliche Dinge zuvor nicht gekümmert hatte, etwa 400 ungeöffnete Poststücke aus den Jahren 2005 bis 2008 hinter dem Sofa der ehelichen Wohnung. Kredite für das Wohnhaus sowie einen Auslandsaufenthalt der Tochter waren nicht mehr bedient, Rechnungen nicht mehr bezahlt worden. Um zunächst das Nötigste zu regeln, musste die Ehefrau des Klägers etwa 10.000,– EUR aufwenden.
Mit seiner am 25. Februar 2008 beim Arbeitsgericht Essen eingegangenen Klage hat der Kläger sich gegen die Kündigung gewendet und beantragt, ihm „hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren”. Er hat vorgetragen, aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen zu sein, gegen die Kündigung vorzugehen.
Mit Zwischenurteil vom 24. April 2008, auf dessen Gründe verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht Essen den zuletzt gestellten Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage als unzulässig verworfen.
Gegen das ihm am 7. Mai 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Mai 2008 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. August 2008 – mit einem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Er beruft sich unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens darauf, die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Auch treffe die Beklagte aufgrund des langjährigen Arbeitsverhältnisses eine besondere Fürsorgepflicht.
Der Kläger beantragt,
das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24. April 2008 abzuändern und seine Kündigungsschutzklage vom 21. Februar 2008 nachträglich zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass sie – unstreitig – von der Erkrankung des Klägers und den übrigen Umständen keinerlei Kenntnis hatte.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
B.
Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu Recht als unzulässig verworfen.
Insoweit wird zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Ergänzend sowie im Hinblick auf die Berufungsangriffe gilt Folgendes:
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht in seinem Sinn verfassungskonform dahingehend auslegen, dass die Sechsmonatsfrist unbeachtlich ist, wenn den Arbeitnehmer an deren Versäumung keine Schuld trifft. Aus der Zusammenschau der Regelungen der Sätze 2 und 3 des § 5 Abs. 3 KSchG ergibt sich, dass es nur für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Ablauf der Kündigungsschutzklagefrist darauf ankommt, ob den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Nur ...