Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsanhörung
Leitsatz (amtlich)
Im Falle der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats ist der Arbeitgeber nicht schon ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses, sondern erst mit Konstituierung des Betriebsrats verpflichtet, diesen zu einer Kündigung anzuhören.
Normenkette
BetrVG §§ 102, 21, 26, 29
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Urteil vom 26.02.2009; Aktenzeichen 6 Ca 2028/08) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 26.02.2009 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger war seit 1985 als Lagerleiter bei der Beklagten, die ein Autohaus in S. betreibt, beschäftigt.
Am 19.06.2008 wählte die Belegschaft erstmals einen Betriebsrat. Das Wahlergebnis des siebenköpfigen Betriebsrats wurde in einem der vier Betriebsteile am 19.06.2000, in den übrigen Betriebsteilen am 20.06.2008 bekanntgemacht. Am 20.06.2008 erhielt die Arbeitgeberin auch eine Abschrift der Wahlniederschrift. Die konstituierende Sitzung des siebenköpfigen Betriebsrats fand am 26.06.2008 statt.
Am 23.08.2008 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger und der Betriebsleiter K. seit dem Jahr 2003 mittels fingierter Kundengutschriften Kassenauszahlungen veranlassten und selbst vereinnahmten. Der Kläger gab die „Barentnahmen”, von der Beklagten auf insgesamt EUR 138.840,42 beziffert, dem Grunde nach gegenüber der Beklagten zu, wobei er geltend machte, die Beträge meistens an den K. weitergeleitet zu haben. Weiterhin räumte er ein, mehrfach seinen Privatwagen und den seiner Ehefrau an der firmeneigenen Tankanlage betankt zu haben sowie aus dem Betrieb Artikel wie Toilettenpapier und Küchenrollen mitgenommen zu haben. Schließlich wirft die Beklagte dem Kläger vor, auf Firmenkosten bei Lieferanten lieferscheinmäßig anders ausgewiesene, jedoch für ihn und den K. privat bestimmte Waren im Wert von EUR 77.008.00 bestellt zu haben. Zu der Bestellung der Ferrari-Reifen trägt der Kläger vor, von K. angewiesen worden zu sein, die Reifen für dessen Privatfahrzeug zu bestellen.
Mit Schreiben vom 23.06.2008, am 24.06.2008 zugegangen, erklärte die Beklagte daraufhin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Mit der am 04.07.2008 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichten Kündigungsschutzklage hat der Kläger gerügt, dass, was unstreitig ist, der am 19.06.2008 gewählte Betriebsrat nicht zur Kündigung angehört worden sei, und sich zur Anhörungspflicht auf das BAG-Urteil vom 28.09.1983 – 7 AZR 266/82 – EzA Nr. 56 zu § 102 BetrVG 1972 bezogen. Die Beklagte hat ihrerseits unter Hinweis auf das BAG-Urteil vom 23.09.1984 – 6 AZR 520/82 – EzA Nr. 59 zu § 102 BetrVG 1972 eine Anhörungspflicht negiert und seither davon abgesehen, unter Anhörung des Betriebsrats vorsorglich dem Kläger erneut zu kündigen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 26.02.2009 die Klage abgewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift der Kläger das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streit-standes verwiesen wird, allein mit dem Einwand an, dass die Kündigung mangels vorheriger Betriebsratsanhörung unwirksam sei. Er beantragt die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Stattgabe der Klage. Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.
2. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Kammer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zu eigen. Auf die Angriffe der Berufung ist lediglich das Folgende anzufügen.
Nach herrschender Meinung (BAG 23.09.1984, a.a.O., LAG Hamm 20.05.1999, 4 Sa 1989/98, ZinsO 1999, 362 f., Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 102 Rn. 7 Wlotzke/Preis, BetrVG, 3. Aufl., § 102 Rn. 12, Löwisch/Kaiser, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rn. 1, TLL/Thüsing, KSchG, § 102 BetrVG Rn 10, Etzel, HzA, Gruppe 19, Rn. 821, Heither, AR-Blattei SD 530.143, Rn. 532) beginnt die Anhörungspflicht erst mit Konstituierung des Betriebsrats: Bis zu diesem Zeitpunkt sei der Betriebsrat funktionsunfähig. Ohne Vorsitzenden und Vertreter fehle es an einem Absender und Adressat von Erklärungen gemäß § 26 Abs. 2 BetrVG. Die Obliegenheit, das Gremium als Ganzes zu unterrichten, stoße auf unüberwindliche rechtliche und praktisch Probleme.
Letzteres will eine Mindermeinung (Wiese, Anm. EzA Nr. 58 zu § 102 BetrVG 1972, APS/L., 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 45, DKK/Kittner/Bachner, BetrVG, 10. Aufl., § 102 Rn. 30, Nägele, HaKo-KSchR, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 13) zur Vermeidung einer gesetzlichen Schutzlücke nicht gelten lassen: Nach § 21 Satz 2 BetrVG beginne die Amtszeit des Betriebsrats mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses bzw. Ablauf der Amtszeit des vorherigen Betriebsrats; das Gremium als Ganzes sei ab dies...