Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche und inhaltliche Reichweite der Geltung der normativen Regelungen eines Sozialplans
Leitsatz (amtlich)
Ein Sozialplan kann einem Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang, dem er widersprochen hat, einen Abfindungsanspruch verschaffen, auch wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Zugangs der betriebsbedingten Kündigung nicht mehr dem Betrieb angehört, für den der Sozialplan abgeschlossen ist, und die Arbeitgeberin nicht mehr Inhaberin dieses Betriebs ist. Regelungen in Sozialplänen können in ihrer normativen Wirkung die Betriebszugehörigkeit überdauern (vgl. BAG, Urteil vom 28, Juni 2005, 1 AZR 213/04, Rn 18, juris). Auch in Bezug auf die Arbeitgeberin ist allein maßgeblich, ob die Regelungen des Sozialplans durch die Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten gegenstandslos geworden sind oder ob sie ihren Regelungsgegenstand nach wie vor behalten haben.
Leitsatz (redaktionell)
Die normative Geltung von Betriebsvereinbarungen endet regelmäßig, wenn ein Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheidet.
Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn sich die Regelungen auf den Betrieb und die Interessen der vom Betriebsrat zum Zeitpunkt des Abschlusses vertretenen Arbeitnehmer beziehen und inhaltlich die Betriebszugehörigkeit überdauern sollen. Dies kann bei Abfindungsansprüchen aus einem Sozialplan der Fall sein.
Normenkette
BetrVG § 112 Abs. 1 S. 3; BGB § 613a Abs. 6; BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1; BGB § 613a Abs. 5; Sozialplan v. 03.06.2016 § 1 Abs. 1 Fassung: 2017-02-07, § 2 Abs. 1 Fassung: 2017-02-07
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 09.04.2019; Aktenzeichen 9 Ca 435/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. April 2019 - Az. 9 Ca 435/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplan-Abfindung nach Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Die Beklagte ist Teil eines weltweit agierenden Konzerns. Sie stellt Pumpen und Zubehörteile her und vertreibt diese. Der am 24. Mai 19... geborene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. August 1991 beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 4.891,47 €.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die F., die aufgrund eines Verschmelzungsvertrages vom 25. August 2017 in der Beklagten aufging, und deren Betriebsrat vereinbarten am 3. Juni 2016 im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Hamburg, Herrn G. R., einen Sozialplan. Über die bei Anrufung der Einigungsstelle beabsichtigte Betriebsänderung war deren Vorsitzender von der Beklagten mit Schreiben vom 31. März 2016 informiert worden. Auf die Anlage S 1, Bl. 85 ff. der Akte, wird verwiesen. Der Sozialplan hat folgenden auszugsweisen Inhalt:
"Präambel
Insbesondere durch den Preisverfall auf dem Ölmarkt, durch die verringerte Nachfrage von Rohstoffen in China und dem vor allem durch asiatische Wettbewerber gestiegenen Kostendruck auf dem Wassermarkt befindet sich die Gesellschaft in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Neben externen Faktoren wirken auch gruppeninterne Planungen auf die Gesellschaft ein. Weitere Personalanpassungen während der Laufzeit dieser Vereinbarung sind daher nicht ausgeschlossen und werden von der Gesellschaft sogar als wahrscheinlich angesehen.
Ab dem 14. April 2016 streiten die Parteien im Rahmen einer Einigungsstelle unter dem Vorsitz von Herrn G. R., Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hamburg, über den aktuellen und zukünftigen Umgang mit ggf. geplanten betriebsbedingten Kündigungen. Wesentlicher Bestandteil dieser Verhandlungen war die Forderung des Betriebsrats, dass alle aufgrund der dargelegten Faktoren zukünftig vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes am Standort noch betroffenen Mitarbeiter hinsichtlich der Milderung der daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteile gleichbehandelt werden.
Nach ausführlicher weitergehender Erörterung dieser Fragen im Rahmen der Einigungsstelle ist die Gesellschaft nun dazu bereit, der Forderung des Betriebsrats nachzukommen. Die Parteien sind sich somit darüber einig, dass den während der Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung vorgenommenen Maßnahmen zum Personalabbau eine einheitliche unternehmerische Planung der Gesellschaft zugrunde liegt. Insofern handelt es sich insgesamt um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG.
Dies vorausgeschickt vereinbaren die Parteien Folgendes:
§ 1
1. Dieser Sozialplan gilt, zugleich auch als vorsorglicher Sozialplan, für alle Mitarbeiter der Gesellschaft i.S.d. § 5 BetrVG, die aus Anlass der unternehmerischen Planung und des daraus folgenden Personalabbaus ihren Arbeitsplatz verlieren werden, unabhängig davon, ob dem Ausspruch der Kündigung eine ggf. weitere Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG zugrunde liegt oder nicht und welches Ausmaß die Maßnahme hat. Auf den Interessenausgleich der P...