Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhte Darlegungslast der Arbeitgeberin bei unterlassener Information des Arbeitnehmers vor Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Unwirksame krankheitsbedingte Kündigung eines Kochs bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu leidensgerechten Beschäftigungsmöglichkeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Führt der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nicht durch, obwohl die Voraussetzungen nach § 84 Abs. 2 SGB IX gegeben waren, ist die Folge eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten, die im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen sind. Ist denkbar, dass ein BEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe "vorschnell" gekündigt mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam ist. (siehe BAG 13.05.2015 - 2 AZR 565/14 - juris).
2. Ein Arbeitgeber erfüllt die ihm obliegende Initiativpflicht zur Durchführung eines BEM nur, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (vgl. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - juris). Der Hinweis auf eine Dienstvereinbarung zum BEM, die ihrerseits Regelungen zu den Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements und dem Datenschutz enthält, ersetzt die konkrete Information des Arbeitnehmers nicht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; SGB IX § 84 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; SGB IX § 84 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 03.01.2017; Aktenzeichen 21 Ca 223/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 3. Januar 2017 (21 Ca 223/16) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung vom 17. Mai 2016 sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers über den Kündigungszeitpunkt hinaus.
Der 40-jährige Kläger ist auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 3. April 2014 (Anlage K 1, Bl. 5 f. d. A.) unter Berücksichtigung einer Betriebszugehörigkeit seit dem 22. April 2008 bei der Beklagten als Koch beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.315,00 €.
Bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt, ist ein Personalrat gebildet.
Im Jahr 2013 war der Kläger an insgesamt 40 Tagen, im Jahr 2014 an insgesamt 55 Tagen und im Jahr 2015 an insgesamt 184 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 21. April 2015 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten entstanden der Beklagten Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 3.867,57 € für das Jahr 2013, 5.256,60 € für das Jahr 2014 und 5.126,66 € für das Jahr 2015.
Die Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 2013 und 2014 waren auf Knie- und Rückenbeschwerden des Klägers zurückzuführen. Seit 2015 traten nach entsprechenden Operationen keine Knie- oder Rückenbeschwerden mehr auf. Die seit dem 21. April 2015 bestehende Arbeitsunfähigkeit beruht auf einer psychischen Erkrankung.
Der Kläger legte der Beklagten zunächst eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, mit welcher ihm eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 2. Februar 2020 bescheinigt wurde.
Mit Schreiben vom 3. Februar 2016 (Anlage B 3, Bl. 34-37) sowie mit ergänzendem Schreiben vom 9. Februar 2016 (Anlage B 4, Bl. 38) hörte die Beklagte den Personalrat zu der beabsichtigten Kündigung an. Nachdem die Beklagte das Anhörungsverfahren beim Personalrat eingeleitet hatte, legte der Kläger der Beklagten eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die eine Arbeitsunfähigkeit nur noch bis zum 1. März 2016 bescheinigte. Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 verweigerte der Personalrat die Kündigung. Der Kläger blieb auch über den 1. März 2016 hinaus arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schreiben vom 10. März 2016 (Anlage B 7, Bl. 63 d. A.) bot die Beklagte dem Kläger an, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen und bat um Rückmeldung bis zum 1. April 2016. Eine Antwort auf dieses Schreiben erhielt die Beklagte nicht. Bei der Beklagten gilt die "Dienstvereinbarung zur Regelung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements" (Anlage B 8, Bl. 65 ff.). Ein Gespräch über ein betriebliches Eingliederungsmanagement fand in der Folgezeit nicht statt.
Mit Spruch vom 2. Mai 2016 ersetzte die Einigungsstelle die Zustimmung des Personalrats zu der ordentlichen Kündigung des Klägers. Mit Schreiben vom 17. Mai 2016, dem Kläger am 18. Mai 2016 zugestellt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2016.
Der Kläger hat das Vorliegen eines Kündigungsgrundes sowie die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats bestritten.
Mit der am 9. März 2015 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Klage hat der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteie...