Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben. Schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers durch unterlassene Zielvereinbarung. Entgangener Gewinn als Teil des Schadensersatzes
Leitsatz (redaktionell)
1. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind.
2. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird.
3. Ist bis zum Ablauf der maßgebenden Zielperiode keine Zielvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zustande gekommen, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht hätte, bei Erfüllung ihrer Voraussetzungen die erfolgsabhängige variable Vergütung zu verdienen, wird bei der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB das Verschulden des pflichtwidrig handelnden Schuldners vermutet.
4. Nach § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
Normenkette
BGB §§ 252, 280-283, 315 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 10.02.2022; Aktenzeichen 29 Ca 236/21) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und unter ihrer Zurückweisung im Übrigen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Februar 2022 - 29 Ca 236/21 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 82.607,14 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. Juli 2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 85/100 und der Kläger zu 15/100 zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer nicht gewährten Tantieme.
Der am XX. April 19XX geborene Kläger war seit dem 16. März 2020 bei der Beklagten als Development Director für das Ressort Schiffe (Containerschiffe/Hospitalschiffe/Hotelschiffe) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers mit Ablauf des 31. Dezember 2020.
Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der X. AG und innerhalb der Unternehmensgruppe für die Entwicklung sowie für das Management von vorhandenen, neuen und erworbenen Projekten und Beteiligungen im In- und Ausland zuständig. Sie unterhält Containerschiffe, die an Reedereien zum Transport von Fracht zur Verfügung gestellt werden.
Zu den Aufgaben des Klägers gehörte die Umsetzung der Geschäftsidee der Beklagten, modulare, containerbasierte Hospitalschiffe zu bauen, also Schiffe, auf denen in einer Art Baukastenmodell unterschiedliche medizinische Module etwa mit einer Chirurgie oder einer Seuchenbekämpfungsstation untergebracht werden können. Ziel war es, diese Schiffe mit flexibler medizinischer Ausstattung an Regierungen oder die Weltgesundheitsorganisation für den Einsatz in Krisengebieten zu vermieten. Dieses Geschäftskonzept sowie damit zusammenhängend die Konstruktion von Schiffen mit den dazu kompatiblen Hospitalcontainern sind bislang einzigartig und sollte von der Beklagten und intern bei der Beklagten vom Kläger völlig neu entwickelt und begleitet werden.
Dem Arbeitsverhältnis lagen die Stellenbeschreibung vom 11. Februar 2020 (Anlage K 2 - Bl. 74 d.A.) und der Anstellungsvertrag vom 17./25. Februar 2020 (Anlage K 1 - Bl. 63 d.A.) zugrunde. Der Anstellungsvertrag regelt:
"§ 4
Vergütung, freiwillige Leistungen
4.1 Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt von EUR 180.000,- brutto ... zahlbar in zwölf gleichen monatlichen Teilbeträgen von EUR 15.000,- brutto ... jeweils am Monatsende.
4.2 [1] Der Mitarbeiter kann darüber hinaus eine erfolgsabhängige variable Vergütung ('Tantieme') erzielen. [2] Die jährliche Tantieme beträgt maximal EUR 180.000,- brutto ... [3] Die Festlegung einer Tantieme und deren Höhe hängen von dem Erreichen von Zielen ab, deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden. [4] Sollten die drei...