Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung außerdienstlichem Verhalten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verurteilung eines im öffentl. Dienst angestellten Ingenieurs wg. eines außerdienstl. Totschlags kann eine fristl. verhaltensbedingte Künd. rechtfertigen.
2. Bei der Frage derAnsehensschädigung kann berücksichtigt werden, daß das Strafgericht von einer Notwehrsituation ausgegangen ist und daß der Staatsanwalt keinen Fall des Notwehrexesses angenommen hat, dem der Strafrichter allerdings nicht gefolgt ist.
3. Wegen günstiger Prognose wirkt sich die lange Vertragsbindung zugunsten des Arbeitnehmers aus.
Normenkette
BAT § 54 I; BGB § 626; BAT § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 27.05.1997; Aktenzeichen 16 Ca 215/97) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Mai 1997 – 16 Ca 215/97 – wie folgt abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 13. März 1997 noch durch die fristlose Kündigung vom 15. September 1997 beendet worden ist und zu den vertragsgemäßen Bedingungen fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung des nicht mehr ordentlich kündbaren Klägers, der wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der am 3. September 1939 geborene, heute 59 Jahre alte Kläger ist seit Oktober 1972 bei der beklagten … als Technischer Angestellter beschäftigt gewesen. Er ist von Beruf Ingenieur. Sein Studium schloß er 1965 als graduierter Ingenieur ab. Anschließend nahm er ein Studium als Hochbauingenieur auf. Er ist berechtigt, den Titel Diplom-Ingenieur zu führen.
Seine Tätigkeit bei der Beklagten begann 1972 beim Amt … der Behörde … Die Vergütung erfolgte zunächst nach Verg. Gr. IV b der Anlage 1 a zum BAT. Nach einem Wechsel zur Baubehörde im Jahre 1987 ist der Kläger seit 1988 bei der (neu gebildeten) Umweltbehörde beschäftigt gewesen, zuletzt im Fachamt Altlastensanierung als Sachbearbeiter für besonders schwierige Sanierungsfälle im Abschnitt R 22 „Sonstige Altlasten insbesondere Hafen” mit Vergütung nach Verg.Gr. II a BAT. Auf die Stellenbeschreibung nach dem Stand vom 15. September 1991 und auf die Dienstanweisung BL-4/88 wird verwiesen (Bl. 181-182 und Bl. 121-125 d. A.). Ferner wird ergänzend auf den Arbeitsvertrag vom 2. Oktober 1972 und auf den Vertrag (zur Änderung des Arbeitsvertrags vom 1. Mai 1980) vom 24. Juni 1988 wird Bezug genommen (Bl. 4 und Bl. 170-171 d.A.).
Der Kläger bewohnt in … mit seiner Familie das noch von seinem Vater erbaute (Eltern-) Haus. Die Ehe schloß er 1984. Aus ihr sind zwei heute 14 und 9 Jahre alte Söhne hervorgegangen. Die Ehefrau des Klägers, eine 20 Jahre jüngere Koreanerin, versorgt den Haushalt und ist nicht berufstätig.
Mit Schreiben vom 13. März 1997, dem Kläger zugegangen am 14. März 1997, kündigte die Beklagte (…) dem Kläger gemäß § 55 Abs. 1 i. V. m. § 54 BAT (außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund) mit sofortiger Wirkung (Bl. 5-6 d. A.). Der Personalrat der Umweltbehörde stimmte der Kündigung zu (Bl. 72 d. A.). Bereits am 3. März 1997 hatte die Beklagte den Kläger vom Dienst freigestellt. Die Suspendierung wurde mit Schreiben vom 4. März 1997 bestätigt. Zugleich wurde eine vorübergehendes Hausverbot ausgesprochen (Bl. 68 d. A.). Der Kündigung liegt folgender unstreitiger Sachverhalt zugrunde: Am 7. Dezember 1993 kam es auf der Heimfahrt von Hamburg im Eilzug kurz vor Buchholz zwischen dem Kläger und einem wesentlich jüngeren afrikanischen Asylbewerber aus Gambia zu einer tätlichen Auseinandersetzung, die mit dem Tod des Afrikaners endete. Die Obduktion ergab, daß ursächlich für den Tod eine 8 bis 10 cm tiefe Stichverletzung im Oberbauch war. Im Krankenhaus Buchholz war der schwerverletzte … zwar sofort operiert worden. Noch in derselben Nacht starb er im Blutungsschock, nachdem die Operation abgebrochen werden mußte. Er hatte bis zum Beginn der Operation bereits viel Blut verloren.
Der Kläger, der bei der körperlichen Auseinandersetzung im Zugabteil sein Fahrtenmesser benutzt hatte, um sich (nach eigenem Vorbringen) zu verteidigen, wurde wegen Totschlags angeklagt, jedoch von der Ersten großen Strafkammer des Landgerichts Stade durch Urteil vom 7. April 1995 (10 Ks 152 Js 22395/93) freigesprochen. Das Gericht sah lediglich den Tatbestand der Köperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) als erfüllt an und ging ferner davon aus, daß die Tat des Klägers durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt sei. Auf das Urteil des Landgerichts Stade vom 7. April 1995 wird verwiesen (Bl. 30-64 d. A.). Die von der Nebenklage eingelegte Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung...