Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassung. Vertrauensschutz
Leitsatz (redaktionell)
Eine im Jahr 2004 ausgesprochene Kündigung ist wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht unwirksam, wenn der Arbeitgeber erst nach ihrem Ausspruch, aber vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die erforderliche Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet hat.
Normenkette
KSchG § 17
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 25.05.2005; Aktenzeichen 13 Ca 375/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. Mai 2005 – 13 Ca 375/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war seit dem 4. Januar 1993 bei der Beklagten, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Backwaren und Konditoreierzeugnissen beschäftigte, als Produktionshelfer mit einer zuletzt erzielten monatlichen Bruttovergütung in Höhe von Euro 1.503,00 beschäftigt.
Am 20. August 2004 fasste die Beklagte den Beschluss, die Herstellung von Backwaren und Konditoreiwaren und die damit verbundene Verteilung an die einzelnen Filialgeschäfte vollständig einzustellen und die Herstellung der von ihr vertriebenen Produkte mit Wirkung zum 1. April 2005 vollständig fremd zu vergeben. Eine entsprechende Großbäckerei wurde mit der Herstellung der Produkte beauftragt.
Mit der Umsetzung der Beschlüsse sind sämtliche Arbeitsplätze in der Produktion und der Expedition zum 1. April 2005 entfallen. Der Kläger war der Abteilung „Küche/Expedition” zugeordnet.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 18. November 2004 zum 31. März 2005, wogegen der Kläger sich mit der am 7. Dezember 2004 eingegangenen Klage zur Wehr gesetzt hat.
Mit Schreiben vom 25. Januar 2005 (Anlage B 4, Bl. 62-64 d.A.) hat die Beklagte bei der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 17 KSchG eine Massenentlassungsanzeige erstattet. Die Agentur hat mit Schreiben vom 4. Februar 2005 (Bl. 72 d.A.) den Eingang der Anzeige bestätigt und mit Bescheid vom 15. Februar 2005 (Bl. 71 d.A.) die angezeigte Entlassung von 16 Arbeitnehmern mit Ablauf des 31. März 2005 genehmigt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe gegen §§ 17, 18 KSchG i.V.m. Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen verstoßen, indem sie nicht vor Zugang des Kündigungsschreibens ihren Konsultations- und Informationspflichten genügt habe.
Der Kläger hat beantragt,
- es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 18. November 2004 nicht aufgelöst ist;
- es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst ist;
- die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Produktionshelfer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokollerklärungen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit Urteil vom 25. Mai 2005 – 13 Ca 375/04 – die Klage abgewiesen, hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrages als unzulässig, im Übrigen als unbegründet.
Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, die ausgesprochene Kündigung sei aufgrund der Teilbetriebsstilllegung sozial gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2, 3 KSchG.
Die Tatsache, dass die Anzeige der Massenentlassung nicht bereits vor Ausspruch der Kündigung erfolgte, führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Richtlinie 98/59/EG entfalte keine unmittelbare Wirkung, sondern wende sich an die Mitgliedsstaaten und verpflichte diese, die Vorgabe in nationales Recht umzusetzen. Der in §§ 17, 18 KSchG verwendete Begriff „Entlassung” könne auch unter Berücksichtigung des Gebotes zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hiermit die Kündigungserklärung gemeint ist, da eine richtlinienkonforme Auslegung den erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht verändern dürfe.
Wegen der Entscheidungsgründe im Übrigen wird auf Bl. 81-84 d. A. Bezug genommen.
Gegen das dem Kläger am 3. August 2005 zugestellte Urteil wendet sich dieser mit seiner am Montag, dem 5. September 2005 bei Gericht eingegangenen und am 4. Oktober 2005 begründete Berufung.
Der Kläger macht geltend, im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Januar 2005 sei festzuhalten, dass das Konsultations- und Anzeigenverfahren vor den Entlassungen, also vor Ausspruch der Kündigungen, abgeschlossen sein müsse und ferner, dass gemäß Art. 246 Abs. 3 EG i.V.m. Art. 10 EG der Inhalt einer Richtlinie, nach der sie erlassen worden ist, im Verhältnis 1:1 umgesetzt werden müsse. Da eine Umsetzung ins deutsch...