Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterschrift als individueller Schriftzug. Handeln ohne Vertretungsmacht i.S.d. § 180 Satz 1 BGB. Genehmigung einer Alleinvertretung. Rechtzeitige Beanstandung eines Rechtsgeschäfts ohne Vertretungsmacht
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Unterschrift setzt einen individuellen Schriftzug voraus, der sich - ohne lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt. Eine bewusste und gewollte Namensabkürzung wie ein Handzeichen oder eine Paraphe reichen nicht aus.
2. Unterschreibt ein Gesamtprokurist allein eine Kündigung, überschreitet er die ihm zustehende Vertretungsmacht. Dabei ist ohne Belang, ob ihm diese Überschreitung bewusst ist oder nicht.
3. Eine nachträgliche Genehmigung der Alleinvertretung ist möglich, wenn nicht der Erklärungsempfänger den Mangel der Vertretungsmacht rechtzeitig beanstandet hat.
4. Nach § 180 Satz 2 BGB finden die §§ 177 ff. BGB mit der Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung eines einseitigen Rechtsgeschäfts unter anderem dann keine Anwendung, wenn der Erklärungsempfänger die Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts beanstandet. Die Vertretungsmacht ist also unverzüglich i.S.v. § 174 Satz 1 und § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu rügen.
Normenkette
BGB § 121 Abs. 1 S. 1, § 126 Abs. 1, § 174 S. 1, § 177 Abs. 1, § 180
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 14.10.2021; Aktenzeichen 1 Ca 1001/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14.10.2021 - 1 Ca 1001/21 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Feststellung in Ziff. 1 des Tenors richtet, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19.05.2021 nicht aufgelöst worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Dienstleistungsunternehmen mit etwa 750 Arbeitnehmern, die ungefähr 2500 Menschen mit Einschränkungen betreuen. Als gemeinnützige Gesellschaft ist es das Ziel der Beklagten, Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen des Lebens eine volle und gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Hierzu bietet die Beklagte sowohl berufliche Bildung als auch Arbeitsmöglichkeiten an und hält verschiedene Wohnangebote vor.
Der am 31.12.1969 geborene und verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.04.2005 als Betreuer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 3.785,32 Euro beschäftigt. Der Kläger wird im Bereich "Berufliche Teilhabe" eingesetzt und betreut Menschen mit Behinderung. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst des Bundes Anwendung.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommt unter anderem die Betriebsvereinbarung Nr. 1 Arbeitszeit in der Fassung vom 11.12.2002 (Bl. 111 ff. GA) zur Anwendung, die auszugsweise lautet:
"§ 4 a Arbeitszeit im Bereich Berufliche Teilhabe
1. ... Die tägliche Arbeitszeit ist von montags bis einschließlich donnerstags von 07:30 Uhr bis 16:05 Uhr. Freitags wird in der Zeit von 07:30 Uhr bis 14:40 Uhr gearbeitet. ...
....
§ 5 Pausenzeiten
...
4. Die Lage der Pausen wird von den Arbeitnehmern in Abstimmung mit dem Team, den Standortleitungen und den betrieblichen Anforderungen (z.B. Aufsicht) festgelegt und genommen. In den Bereichen können hiervon abweichende Regelungen getroffen werden.
...
§ 8 Erfassung und Kontrolle von Arbeitszeiten
1. Die Arbeitgeberin wird die Arbeits- und Anwesenheitszeiten der Arbeitnehmer bis auf Weiteres nicht durch ein elektronisches oder mechanisches Zeiterfassungssystem kontrollieren, da sie auf das Verantwortungsbewusstsein der Arbeitnehmer und die Richtigkeit ihrer Angaben vertraut.
2. Jeder Arbeitnehmer wird ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Betriebsvereinbarung seine tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten in einem mittels EDV an einem Computer nach Weisung der Arbeitgeberin vorgegebenen Vordruck eintragen. Ist am Arbeitsplatz beziehungsweise im jeweiligen Arbeitsbereich eines Arbeitnehmers kein Computer vorhanden oder nutzbar, kann mit Zustimmung der Geschäftsführung oder jeweiligen Leitung dieser Arbeitszeit-Nachweis handschriftlich ausgefüllt werden. Die Arbeitszeit-Nachweise werden jeweils am Ende eines Kalendermonats von den Arbeitnehmern ihrer/ihrem Vorgesetzten ausgehändigt und von beiden abgezeichnet. Die Arbeitszeit wird im Arbeitszeitkonto verbucht."
Die Mittagspause liegt im Bereich "Berufliche Teilhabe" normalerweise in der Zeit von 12:00 Uhr bis 12:30 Uhr. Etwaige Abweichungen in Arbeits- und/oder Pausenzeiten sind von den Mitarbeitern auf den sogenannten Zeitsummenkarten einzutragen.
Am 12.04.2021 wandte sich die Kollegin des Klägers, Frau A. , in deren Abteilung der Kläger seit kurzem nach einer Versetzung arbeitet, zunächst per E-Mail an den Vorgesetzten des Klägers, Herrn B. , und teilte ihm mit, dass sie gesehen habe, wie der Kläger vormittags um ku...