Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. strafbare Handlung. Veruntreuung. Unterschlagung. Führung eines Betriebsratskontos. Anlegung einer Barkasse. Hausfriedensbruch. Hausverbot. Amtspflichtsverletzung. Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Erforderlichkeit einer Abmahnung. negative Prognose. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Interessenabwägung. Weiterbeschäftigung
Leitsatz (redaktionell)
Die außerordentliche Kündigung eines ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden kann unverhältnismäßig sein, wenn dieser zwar Gelder von einem Betriebssozialkonto abgehoben hat und ohne Kenntnis des Arbeitgebers und Betriebsrats in eine von ihm geführte „Barkasse” verbracht hat, die Gelder aber seinem Nachfolger zeitnah erstattet hat.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1; BetrVG § 103; BGB § 626; StGB §§ 246, 266
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Urteil vom 14.09.2010; Aktenzeichen 5 Ca 390/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14.09.2010 – 5 Ca 390/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im vorliegenden Rechtsstreit wendet sich der am 18.05.1956 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Kläger gegen zwei fristlose Kündigungen vom 18.01.2010 und 02.02.2010, die die Beklagte gegenüber dem Kläger, der zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen Betriebsratsmitglied war, mit Zustimmung des Betriebsrats wegen mangelhafter Führung eines Betriebssozialkontos und veruntreuender Unterschlagung sowie wegen Verstoßes gegen ein angeblich erteiltes Hausverbot und Bedrohung des neuen Betriebsratsvorsitzenden ausgesprochen hatte. Gleichzeitig machte der Kläger, der bereits am 03.11.2009 als Betriebsratsvorsitzender abgewählt worden war, seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen geltend.
Durch Urteil vom 14.09.2010 – 5 Ca 390/10 – hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten.
Wegen der weiteren Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 ZPO auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen. Im Übrigen wird von einer ausführlichen Darstellung des Tatbestands nach § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, nachdem die Beklagte auf das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde verzichtet hat.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigungen vom 18.01.2010 und 02.02.2010 festgestellt und dem Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers stattgegeben.
I.
Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 18.01.2010 ergibt sich aus § 15 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 626 BGB.
Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.
Der Kläger war zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung vom 18.01.2010 Mitglied des Betriebsrats im Betrieb der Beklagten. Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat hat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 13.01.2010 ausdrücklich zugestimmt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten liegt aber ein wichtiger Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht vor.
In § 15 KSchG sind ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1 BGB verwandten Formulierungen übernommen worden. Da der Gesetzgeber in § 626 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gerechtfertigt ist, sind die in § 626 BGB enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung auch im Rahmen des § 15 KSchG anzuwenden (BAG 18.02.1993 – 2 AZR 526/92 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 35; BAG 21.06.1995 – 2 ABR 28/94 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 36; BAG 17.03.2005 – 2 ABR 2/04 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 58; ErfK/Kiel, 11. Aufl., § 15 KSchG Rn. 22; KR/Etzel, 9. Aufl., § 15 KSchG Rn. 21; APS/Linck, 3. Aufl., § 15 KSchG Rn. 126 m.w.N.).
Hiernach bedarf es für die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 22.08.1974 – 2 ABR 17/74 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 1; BAG 27.01.1977 – 2 ABR 77/76 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7; BAG 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; BAG 20.01.2000 – 2 ABR 40/99 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 40; BAG 23.04.2008 – 2 ABR 71/07 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 56 m.w.N.).
Die Beklagte kann sich zur Begründung der auße...