Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Verstoß gegen Verschwiegenheitspflicht. Verdachtskündigung. Betriebsgeheimnis. Geheimhaltungsverpflichtung unter Betriebsratsmitgliedern. Betriebsaufspaltung. geplante Betriebsänderung. Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers. Interessenabwägung. Weiterbeschäftigung
Leitsatz (redaktionell)
Die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen durch ein Beriebsratsmitglied an ein anderes Betriebsratsmitglied stellt keinen Verstoß gegen § 79 BetrVG dar und ist nicht pflichtwidrig.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 79 Abs. 1, § 111; BGB §§ 611, 613; GG Art. 1-2, 10 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herne (Urteil vom 12.01.2011; Aktenzeichen 1 Ca 1591/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 12.01.2011 – 1 Ca 1591/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten gegenüber der Klägerin erklärten fristlosen, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist erklärten außerordentlichen Kündigung vom 09.06.2010 sowie um die Weiterbeschäftigung der Klägerin.
Die am 15.10.1955 geborene Klägerin wurde zum 16.01.1991 aufgrund eines Einstellungsschreibens vom 31.07.1991 (Bl. 11 d. A.) zum 16.08.1991 von der Beklagten, die mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, als kaufmännische Angestellte eingestellt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung.
Seit Jahren ist die Klägerin Mitglied des im Betrieb der Beklagten aus elf Personen bestehenden Betriebsrats. Seit 1995 war sie selbst Vorsitzende des Betriebsrats und von ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Im Spätsommer 2003 endete mit der Beendigung des Amtes als Vorsitzende des Betriebsrats auch die Freistellung der Klägerin.
In den Jahren 2006 und 2010 wurde die Klägerin wiederum in den Betriebsrat gewählt.
Nach Beendigung der Freistellung im Jahre 2003 kam es zum Rechtsstreit zwischen den Parteien über den weiteren Einsatz der Klägerin im Betrieb der Beklagten. Am 16.03.2006 schlossen die Parteien vor dem Berufungsgericht – 11 Sa 2358/04 – folgenden Vergleich:
- „Im Hinblick darauf, dass der bisherige Aufgabenbereich der Klägerin so nicht mehr im Betrieb vorhanden ist, akzeptiert die Klägerin die Versetzung in der gegenwärtig praktizierten Form. Dabei sind die Parteien einig, dass eine Vertretungstätigkeit im Pförtnerbereich nicht zu den Aufgaben der Klägerin gehört.
- Die Beklagte erklärt sich bereit, bei zukünftig sich ergebenden Stellenbesetzungen eine Bewerbung der Klägerin wohlwollend zu prüfen und bei bestehender Eignung und gleicher Qualifikation gegenüber Mitbewerbern bevorzugt zu berücksichtigen.
- Hinsichtlich der Kosten erster Instanz verbleibt es bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.
- Damit ist der Rechtsstreit 11 Sa 2358/04 erledigt.”
Die Klägerin war daraufhin als Mitarbeiterin in der Postbearbeitung unter Eingruppierung in die Entgeltgruppe 6 ERA bei der Beklagten tätig und hatte einen monatlichen Bruttoverdienst von ca. 4.140,00 EUR.
Ein vom Betriebsrat im Jahre 2008 eingeleitetes Beschlussverfahren auf Ausschluss der Klägerin aus dem Betriebsrat hatte keinen Erfolg. Auf die Gründe des Beschlusses der erkennenden Kammer vom 14.08.2009 – 10 TaBV 175/08 – wird Bezug genommen.
Die Klägerin ist behindert mit einem GdB von 30 und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Am 07.05.2010 händigte die Klägerin dem Betriebsratsmitglied K2 eine Kopie eines Schreibens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft W1 & K1 vom 23.03.2010 (Bl. 159 ff. d. A.) auf die Bitte des Betriebsratsmitglieds K2 aus. Dieses Schreiben verhielt sich über ein Angebot über die betriebswirtschaftliche und steuerliche Beratung im Zusammenhang mit der Gründung einer neuen Gesellschaft zum Zwecke der Übernahme des bisherigen Produktionsbereichs der Beklagten und weist auf der letzten Seite eine auf den 06.04.2010 datierte Einverständniserklärung der Beklagten mit dem gemachten Angebot aus.
Ob die Klägerin dieses Schreiben selbst kopiert hat, während es sich am 06.04.2010 in der von der Klägerin zu bearbeitenden Ausgangspost befunden hat, oder ob die Klägerin eine Kopie des Schreibens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 23.03.2010 in ihrem Postfach vorgefunden hat, ist zwischen den Parteien streitig. Die Parteien streiten ferner darum, ob die Klägerin eine Kopie dieses Schreibens vom 23.03.2010 an die IG Metall weitergegeben hat oder ob sie sich lediglich bei der IG Metall erkundigt hat, wie sie mit der ihr angeblich zugespielten Kopie umgehen sollte.
Der Betriebsratsvorsitzende, Herr B1, war als Mitglied des Verwaltungsrats der Beklagten über das Thema einer aus steuerlichen Gründen in Erwägung gezogenen Aufspaltung und über den Abschluss des Vertrages zwischen der Wirtsch...