Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Anspruchs eines Zeitungszustellers auf Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages
Leitsatz (amtlich)
1. Zeitungszusteller haben Anspruch auf Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages von 30 Prozent, wenn sie die Zeitungszustellung in Dauernachtarbeit erledigen.
2. Ob die Zustellung von Tageszeitungen notwendig und unvermeidbar während der Nachtzeit zu erfolgen hat, wirkt sich nicht auf die Bemessung des dem Arbeitnehmers geschuldeten Nachtzuschlags aus. Der Nachtarbeitszuschlag ist letztlich eine immaterielle Entschädigung für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Übernahme des Risikos gesundheitlicher Spätfolgen durch Nachtarbeit. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung von zwingender und vermeidbarer Nachtarbeit bei der Zuschlagshöhe ist nicht ersichtlich.
3. Ein Nachtzuschlag von 30 Prozent als angemessener Ausgleich im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG verletzt die Presse und ihren Vertrieb nicht in ihrem Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Allein der Umstand des Vertriebs von Presseerzeugnissen entbindet nicht von der Verpflichtung zur Zahlung des allgemein angemessenen Zuschlags für Dauernachtarbeit.
4. Selbst wenn die Presse einem überragenden Gemeinwohlbelang dient, kann es schon generell nicht überzeugen, dass Arbeitnehmer einen geringeren Zuschlag erhalten sollen, weil sie eine Tätigkeit ausüben, die zwingend Nachtarbeit aus überragenden Gründen des Gemeinwohls erfordert. Zudem schützt das Grundrecht der Pressefreiheit nicht zwingend bestimmte Formen des Vertriebs dauerhaft vor auch auf wirtschaftlichen Gründen beruhenden Veränderungen.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; ArbZG § 6 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 29.03.2019; Aktenzeichen 3 Ca 1293/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 29. März 2019 (3 Ca 1293/18) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags.
Die Beklagte ist eine von mehreren Vertriebs- und Servicegesellschaften der Unternehmensgruppe X und hat ihren Sitz in R. Der Kläger ist bei ihr seit dem 1. Oktober 2015 als Zeitungszusteller beschäftigt. Er hat zum einen Tageszeitungen an Zeitungsabonnenten zuzustellen, und zwar nach Nr. 1 Abs. 5 des Anstellungsvertrages (Anlage K1 zur Klageschrift, Bl. 4 ff. d. A.) bis spätestens 6:00 Uhr am Erscheinungstag. Des Weiteren liefert er donnerstags und samstags Anzeigenblätter aus, welche nach Nr. 1 Abs. 8 Anstellungsvertrag bis 11:00 Uhr auszuliefern sind.
Der Kläger erbringt seine Arbeitstätigkeit an sechs Werktagen pro Woche, und zwar ausschließlich während der Nachtzeit für mehr als zwei Stunden pro Arbeitsnacht zwischen 1:00 Uhr und 6:00 Uhr. Die Beklagte zahlte im hier streitigen Zeitraum von Juni bis Dezember 2018 neben dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro einen Nachtarbeitszuschlag von 10 Prozent je Stunde. Der Kläger verlangt die Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages von 30 Prozent, die daraus resultierende Differenz beträgt rechnerisch unstreitig 1.603,78 Euro brutto.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (25. April 2018 - 5 AZR 25/17) aufgrund der dauerhaft geleisteten Nachtarbeit ein Nachtzuschlag in Höhe von 30 Prozent auf den Bruttolohn zu. Bei der Zeitungszustellung handele es sich nicht um eine leichte Tätigkeit. Die Höhe des Nachtzuschlags und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung stellten für die Beklagte auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit dar. Eine wirtschaftliche Überforderung der Beklagten werde bestritten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.603,78 Euro brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass die von ihr bereits gezahlten Nachtarbeitszuschläge Prozent angemessen seien. Bei der Zustellung von Zeitungen handele es sich um leichte Tätigkeiten. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April 2018 (5 AZR 25/17) sei zudem rechtsfehlerhaft. Das Bundesarbeitsgericht habe das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend berücksichtigt. Bei der Zustellung der Zeitungen an Abonnenten sei Nachtarbeit unvermeidbar, da eine Zustellung nach 6:00 Uhr für die Abonnenten der Tageszeitung nicht mehr sinnvoll sei. Die wirtschaftlichen Folgekosten eines Zuschlags in Höhe von 30 Prozent seien zudem erheblich, sie führten bei der Beklagten zu einer Erhöhung von 273.373,34 Euro auf ca. 753.000,00 Euro. Derartige Mehrkosten könnten nur durch eine Erhöhung der Abonnementpreise ausgeglichen werden, was zu einem Verlust von Abonnenten führe. Die elektronische Verbreitung liege bei unter 10 Prozent (Abo Print und Online) bzw. unter 3 Prozent (nur Online) und sei derzeit kein hinreichender Ersatz. Zu berücksichtigen sei auch, dass die...