Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Anspruchs eines Zeitungszustellers auf Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages
Leitsatz (amtlich)
Parallelentscheidung zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 04.02.2020 - 14 Sa 485/19, das vollständig dokumentiert ist.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; ArbZG § 6 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 10.05.2019; Aktenzeichen 3 Ca 123/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10. Mai 2019 (3 Ca 123/19) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags.
Die Beklagte ist eine von mehreren Vertriebs- und Servicegesellschaften der Unternehmensgruppe X und hat ihren Sitz in R. Die Klägerin ist bei ihr seit dem 1. April 2007 als Zeitungszustellerin beschäftigt. Sie hat zum einen Tageszeitungen an Zeitungsabonnenten zuzustellen, und zwar nach den Vorgaben der Beklagten bis spätestens 6:00 Uhr am Erscheinungstag. Des Weiteren liefert sie donnerstags und samstags Anzeigenblätter aus.
Die Klägerin erbringt ihre Arbeitstätigkeit an sechs Werktagen pro Woche, und zwar ausschließlich während der Nachtzeit für mehr als zwei Stunden pro Arbeitsnacht zwischen 1:30 Uhr und 6:00 Uhr. Die Beklagte zahlte im hier streitigen Zeitraum von August bis November 2018 neben dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro einen Nachtarbeitszuschlag von 10 Prozent je Stunde. Die Klägerin verlangt mit ihrer beim Arbeitsgericht am 18. Januar 2019 eingegangenen Klage die Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages von 30 Prozent, die daraus resultierende Differenz beträgt rechnerisch unstreitig 954,15 Euro brutto.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (25. April 2018 - 5 AZR 25/17) aufgrund der dauerhaft geleisteten Nachtarbeit ein Nachtzuschlag in Höhe von 30 Prozent auf den Bruttolohn zu. Bei der Zeitungszustellung handele es sich nicht um eine leichte Tätigkeit. Die Höhe des Nachtzuschlags und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung stellten für die Beklagte auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit dar. Eine wirtschaftliche Überforderung der Beklagten bestehe nicht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 954,15 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass die von ihr bereits gezahlten Nachtarbeitszuschläge Prozent angemessen seien. Bei der Zustellung von Zeitungen handele es sich um leichte Tätigkeiten. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April 2018 (5 AZR 25/17) sei zudem rechtsfehlerhaft. Das Bundesarbeitsgericht habe das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend berücksichtigt. Bei der Zustellung der Zeitungen an Abonnenten sei Nachtarbeit unvermeidbar, da eine Zustellung nach 6:00 Uhr für die Abonnenten der Tageszeitung nicht mehr sinnvoll sei. Die wirtschaftlichen Folgekosten eines Zuschlags in Höhe von 30 Prozent seien zudem erheblich, sie führten bei der Beklagten zu einer Erhöhung von 273.373,34 Euro auf ca. 753.000,00 Euro. Derartige Mehrkosten könnten nur durch eine Erhöhung der Abonnementpreise ausgeglichen werden, was zu einem Verlust von Abonnenten führe. Die elektronische Verbreitung liege bei unter 10 Prozent (Abo Print und Online) bzw. unter 3 Prozent (nur Online) und sei derzeit kein hinreichender Ersatz. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Zeitungen wegen geringerer Anzeigenpreise wirtschaftlich unter Druck stünden. Dies seien keine rein wirtschaftlichen Erwägungen, sondern es gehe um die Gewährleistung einer effektiven Pressefreiheit. Das seien überragende Gründe des Gemeinwohls, die bei unvermeidbarer Nachtarbeit eine Absenkung rechtfertigten. Die Nichterreichbarkeit des Zwecks, Nachtarbeit durch Verteuerung einzudämmen, rechtfertige zudem schon allein einen geringeren Nachtzuschlag.
Das Arbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April 2018 (5 AZR 25/17) der Klage stattgegeben und darüber hinaus ausgeführt, die Pressefreiheit würde dadurch nicht unzulässig eingeschränkt. Insbesondere müsse eine Zustellung von Tageszeitungen nicht zwingend vor 6:00 Uhr erfolgen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 95R ff. d. A.) verwiesen.
Gegen das der Beklagten am 20. Mai 2019 zugestellte Urteil richtet sich deren am 23. Mai 2019 eingelegte und am 26. Juni 2019 begründete Berufung.
Die Beklagte ist unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage der Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihren Sachvortrag inhaltlich unzutreffend bewertet. Trotz fehlender Zeiten der Arbeitsbereitschaft handele es sich bei der Zeitungszustel...