Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierungssystematik im TVöD-NRW. Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen. Arbeitsvorgang als Bezugsobjekt der tariflichen Bewertung. Tarifliche Anforderungen des "selbstständigen" und "verantwortlichen" Handelns. Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Beschäftigte ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals dieser Entgeltgruppe erfüllen.

2. Verträge und Willenserklärungen sind nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Auslegungsziel ist bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht der innere Wille des Erklärenden, sondern das, was der Adressat nach seinem Empfängerhorizont als Willen des Erklärenden verstehen konnte. Zu würdigen sind neben dem Wortlaut der Erklärung auch alle Begleitumstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt waren.

3. Bezugsobjekt der tariflichen Bewertung ist der Arbeitsvorgang. Maßgebend für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend.

4. Die tariflichen Anforderungen "selbständig" und "verantwortlich" verlangen, dass der Beschäftigte über das bis zu einer bestimmten Lohngruppe geforderte Maß hinaus die Tätigkeit der jeweiligen Tätigkeitsmerkmale ohne besondere Anweisung ausführt ("selbständig") und für die durchzuführende Arbeit die volle Verantwortung trägt ("verantwortlich"). Hierfür genügt es, wenn der Beschäftigte die Arbeiten "ohne besondere Anweisung" ausführt.

5. Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht rechnen muss, geschützt werden. Ausgehend von ihrem Sinn und Zweck ist die Ausschlussfrist nur gewahrt, wenn der Anspruchsteller unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; TVöD/VKA §§ 12, 37 Abs. 1; TVÜ-VKA §§ 29a, 29b; TVöD-NRW Anhang zu Teil A § 11a EG 7

 

Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 27.10.2021; Aktenzeichen 2 Ca 914/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2021, 2 Ca 914/21 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.01.2017 nach der Entgeltgruppe 7 des Anhangs zu Teil A § 11a - Eingruppierungsverzeichnis zum TVöD-NRW zu vergüten und die sich insoweit ergebenden Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe 7 und der Entgeltgruppe 6 für die Monate Januar 2017 bis Oktober 2017 ab dem 01.11.2017 und ab dem Monat November 2017 ab dem jeweils auf den Fälligkeitstag folgenden Tag mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers.

Der Kläger ist seit dem 23.07.2007 bei der Beklagten bzw. bei deren Rechtsvorgängerin in der A beschäftigt. Bei der A handelt es sich um einen auf über 30 Hektar naturnah gestalteten B. Dieser ist in folgende sechs Gebiete eingeteilt: Afrika 1, Afrika 2, Afrika 3, Alaska, Asien sowie Grimberg, Bauernhof und Veterinärstation. Die Beklagte verwendet für diese Gebiete die Bezeichnung Revier.

Im Anschluss an seine dreijährige Ausbildung zum Tierpfleger der Fachrichtung C war der Kläger zunächst ab dem 18.06.2010 gemäß Arbeitsvertrag vom 07.06.2010 (Anlage K1, Bl. 26 ff. d. A.) als Tierpfleger/Springer beschäftigt. Ab dem 15.11.2010 erfolgte ein Einsatz als Tierpfleger mit dem Schwerpunkt Huftierpflege im Revier Afrika 2 (Änderungsvertrag vom 03.11.2020, Anlage K2, Bl. 30 d. A.). Seit dem 01.04.2016 ist er gemäß Änderungsvertrag vom 01.04.2016 (Anlage K4, Bl. 32 d. A.) als Tierpfleger in dem Bereich Springerpool tätig. Als solcher ist er im Revier Alaska eingesetzt, das aus den drei Bereichen Waldbereich, Seelöwenhaus und Braunbären/Rentiere besteht. Im Waldbereich leben folgende Tierarten: Luchse, Schneeeulen, Waschbären, Elche, Biber, Skunks, Baumstachler, Wölfe und Otter. Im Seelöwenhaus leben neben den Seelöwen, Eisbären und - bis zum letzten Winter während des Winters - Pelikane. Seit etwa zwei Jahren gehören auch die Pinguine organisatorisch zum Seelöwenhaus, wobei sich deren Gehege im Bereich Afrika bef...

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